Aufbruch - Roman
und Küchenhilfe, aber: verreist. Ein für alle Mal wollte ich jetzt klarstellen, aus welchem Stall ich kam. Dass ich eine war, deren Namen man sich merken musste, und nicht Kalm oder Halm oder Salm. Dass man mich nicht mit Wiener Würstchen abspeisen durfte oder mit einem Briefumschlag für einhundertsechs Stunden Gräberschmuckarbeit. Ich kam aus einem Eigenheim und nicht aus einem Loch.
»Kuck mich doch an«, sagte ich. »Sieht das nach Maternus aus?« Ich schloss die Augen und hielt den dreien mein rosig gebräuntes Gesicht entgegen, meine Bluse, zwei knopfweit geöffnet, Arme, Beine, nichts als braune Haut.
»Kannst dich auch zu Hause in die Sonne legen. Hier war auch gutes Wetter«, wandte Astrid ein, die allerdings fast so käsig aussah wie vor den Ferien.
»Braun bist du«, musste Monika anerkennen. »Das sieht nicht nach Dondorf aus.«
»Und das hier auch nicht!« Lässig machte ich die Bluse noch einen Knopf weiter auf und hob ein feinziseliertes Silberkreuz hervor. Das Kommunionsgeschenk der Patentante. »Feine Filigranarbeiten«, so der Polyglott, »zeugen von hoher Handwerkskunst und sind ein beliebtes Andenken.«
Ich band die Kette ab und ließ sie von Hand zu Hand gehen. Die Tante hatte sich nicht lumpen lassen. Sogar Monika konnte ihre Bewunderung nicht verbergen. »Sei froh, dass du nicht mitgefahren bist«, rückte sie schließlich heraus. »So, wie die mich behandelt haben, mich und die anderen aus Deutschland. Die meisten waren ja Franzosen, auch Holländer und Dänen. Aber auf uns Deutschen haben die rumgehackt. Von wegen Nazis und so. War kein Vergnügen, kann ich euch sagen.«
Ich legte mir das Kreuzchen wieder um, wollte gerade ansetzen, aus welch lieber Hand ich dieses Kleinod empfangen hätte, als Monika noch hinzufügte: »Aber danach war ich ja noch in Taormina: ›Studentenreisen zu Studentenpreisen.‹ Die nehmen es da nicht so genau mit dem Ausweis.«
Doch Astrid ließ nicht locker. »Und wie bist du dahin gekommen?«, fragte sie mich kühl, fast unbeteiligt, wie der Kommissar, wenn er sicher ist, den Missetäter mit einer scheinbar belanglosen Einzelheit in der Falle zu haben.
»Mit dem Liegewagen. Wie sonst!«, gab ich ebenso beiläufig zurück. Mit diesem Transportmittel katapultierte ich mich an die Spitze der Ferienbewegung. Darüber gab es nur noch Flugzeug.
»Ach nee«, bohrte Astrid weiter. »›Urlaubsgeld erschließt die Welt.‹ Hat doch sicher einiges gekostet?«
»Keinen Pfennig«, strahlte ich. »Gewonnen.« Das Wort überrumpelte mich nicht minder als meine Zuhörerinnen.
»Gewonnen?«, kam es aus drei Mündern.
»Gewonnen!«, bekräftigte ich. »Sogar mit Liegewagen. Kostet sechs Mark extra. Da liegt man zu dritt. Ich ganz oben. Hab die ganze Nacht geschlafen. Von Köln bis Rijeka.«
Vom Ambach-Gymnasium klang der Gong herüber. Die Pause war zu Ende. Seltsam, dachte ich, während ich Monikas Arm hielt, die sich auf ihren Stöckeln bei mir eingehakt hatte, seltsam, dass Anke nicht ein Wort gesagt hat. Ihr versonnenes Lächeln, das ihre spitzen Züge weich und weiblich machte, verstärkte sich, als wir wieder auf unseren Plätzen saßen.
Meyerlein war krebsrot aus den Ferien zurückgekommen. Seine aufgestaute Energie entlud sich in Formeln, denen drei Kreidestücke zum Opfer fielen. Alle starrten auf seine plumpen Finger, kichernd schlossen wir Wetten ab, wie viel Kreide noch zu Bruch gehen würde.
Einzig Anke interessierte das alles nicht. Nicht einmal den Anschein gab sie sich. Schaute beinah demonstrativ nicht zur Tafel, sondern geradeaus. Geradeaus saß Armin Mattes, ein schlaksiger, hübscher Junge, die Haare heller als sein Verstand, aber gutmütig, höflich, bemüht, Schritt zu halten. Heute allerdings sah er beinah keck in die Welt, in seinem blau-weißen, frischgebügelten Hemd, Kräuselhaare aus dem offenstehenden Kragen. Spähte gesenkten Blicks auf Ankes blusigen Kordelzug.
Nach der Schule lud uns Monika in die Eisdiele ein, und ich spürte endlich so etwas wie Ferienstimmung.
»Touropa Reisen?«, fragte sie und nippte an ihrem Milchshake, den es seit kurzem hier gab. »Fährt meine Tante auch immer mit. Oder war es Hummel?«
»Äh«, sagte ich. »Es war ein Kreuzworträtsel. Scharnow, glaube ich.«
»Musst du doch wissen, wo du gewonnen hast.« Astrid konnte es nicht lassen.
»In der Hörzu .«
Allein durch Aussprechen wurde etwas nie Geschehenes wirklich und wahr. Gelogen? So wäre denn alles Erzählen Lügen? Nein, nur, wenn man
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