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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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behauptete, das Erzählte sei wirklich geschehen. Erzählen, das war Wirklichkeit-als-ob. Wirklichkeit-als-ob veredeln zu: So ist es, so ist es gewesen. Erzählen und Lügen liegen nah beieinander, nur durch einen Pakt zwischen Zuhörer und Erzähler voneinander geschieden. Das machte ich mir zunutze. Erzähl mal, wie’s war. Und ob ich erzählte.
    »Also, los ging es mit dem Liegewagen, sagte ich ja schon.«
    Wer denn noch im Abteil gewesen sei, wollte Astrid wissen.
    »Äh«, daran hatte ich nicht gedacht, »zwei Freundinnen, Sekretärinnen, eine Auslandskorrespondentin. Ganz ruhig. So ruhig waren sie, als wären sie gar nicht da.« Eine verfängliche Formulierung. Nichts, so lehrte mich Astrids Stutzen, gefährdet die Glaubwürdigkeit stärker als Übertreibung, als Hochstapelei und Angeberei. Das Gleichmaß treffen, Ebenmaß, der goldene Schnitt, Erzählen im Takt der Alltäglichkeit, des So-könntees-gewesen-Sein. Der Vorstellung der Zuhörer entsprechend. Stimmte das Erzählte allerdings zu perfekt mit deren eigenen Vorstellungen überein, begannen sie sich zu langweilen. So, als ich wortgetreu das Frühstück aus einem der Prospekte pries - gekochtes Ei, Schinken, Mettwurst, Brötchen und Brot -, das Monika noch vor der Käseplatte abbrach: »Ist doch egal. Hauptsache, gewonnen. Nun erzähl schon.«
    »Ja, erzähl«, drängte Astrid. »Wie ist das bei den Kommunisten?«
    Darauf war ich vorbereitet. Erzählte von Staatsverfassung und Föderation, schnurrte die sieben Teilstaaten der Sozialistischen Republik herunter.
    Monika gähnte. »Jaja. Aber wie merkt man denn, dass man bei Kommunisten ist?«

    »Überhaupt nicht!« Ich betonte jede Silbe einzeln. So nett und freundlich seien die Leute. In einem kleinen Hotel am Meer hätte ich gewohnt, bisschen heruntergekommen vielleicht, aber gepflegt und sauber. Ich verlor mich in der Schilderung meines Hotelzimmers, das ich dem Wohnschlafzimmer von Cousine Maria ähnlich machte, vom Flokati-Bettvorleger bis zu den grobgewebten Stores.
    Aber was ich denn so erlebt hätte, drängte Anke. Und Monika ergänzte: »Knilche und so.«
    Jetzt musste sich erweisen, wie weit meine erfundenen Erfahrungen tragen würden. Jetzt, in der Stunde der erzählten Wahrheit, der Stunde Eero Huusariis aus Helsinki.
    »Naja«, druckste ich.
    »Also doch«, trumpfte Astrid auf, der ich bei meinem Besuch gestanden hatte, mit Jungen wollte ich erst nach dem Abitur zu tun haben. Genau wie sie.
    »Ja, wirklich?« Monika holte tief Luft, und Anke seufzte: »Ach.«
    Ich aber holte aus. Machte mein wehrloses Opfer zu einem kühnen Eroberer, groß und blond und schlank und braun - von Anke kam ein zweites »Ach« - und klug. Allerdings: ein Finne.
    Ich machte eine Pause. Pausen, das hatte ich bei den Vorträgen der Tante, wenn sie ihre Zuhörer so recht auf die Folter spannen wollte, gelernt, Pausen sorgen für Spannung, nicht minder als der Fluss des Erzählens, die Geschichte selbst. Pausen gehören zu einer guten Geschichte dazu.
    Schweigen.
    In Jugoslawien einen finnischen Papieringenieur zu treffen, war nun wieder so unwahrscheinlich, dass es nicht angezweifelt werden konnte, genauso viel oder wenig, wie das Zustandekommen meiner Reise durch das große Los.
    »Er heißt Erkki, Erkki Huusarii«, fuhr ich fort, meinen Traummann mittels Taufe in der Realität der Pässe, Visa und Personalausweise verankernd. »Wohnt in Helsinki.«
    Ich biss mir auf die Lippe. Falsch. Kleinstadt, weltverborgen in finnischen Wäldern, das wär’s gewesen. Landeshauptstadt:
nicht sehr phantasievoll. Doch so spielte nun mal das Leben. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Gesagt, getan.
    »Und ein süßes kleines Holzhaus hat er auch. An einem See. Mit Sauna und so.«
    »Aber da wart ihr ja wohl nicht.« Astrids Stimme, knapp und säuerlich, erinnerte an die Mutter.
    »Blödsinn«, tat ich beleidigt. »Ich denke, ihr wollt wissen, wie es war. Dafür müsst ihr doch erst mal wissen, wer das ist!«
    »Aber wie heißt er denn nun?« Astrid blieb dran. »Eero oder Erkki oder wie?«
    »Beides«, lächelte ich, »Eero ist der Kosename.«
    »Also, ihr seid doch nicht den ganzen Tag im Wasser gewesen. Und wenn ihr im Wasser wart …« Anke ließ den Satz träumerisch ins Leere laufen. »Und abends seid ihr sicher spazieren gegangen. Oder tanzen.«
    Astrid schnaufte. Wenn man schon in ein kommunistisches Land fuhr, hatte man sich um Land und Leute zu kümmern, die arbeitende Bevölkerung zu studieren, nicht einen finnischen

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