Auferstehung 1. Band
Prinzessin sagen wollte, er danke ihr für ihre Einladung, und hoffe, am Nachmittag zum Diner kommen zu können. Nachdem er aber den Brief geschrieben, zerriß er ihn; er war zu intim. Der zweite, den er schrieb, war zu kühl, fast unhöflich, und er zerriß, ihn wieder. Er klingelte, und ein Lakai trat in das Zimmer, ein älterer Mann, mit ernster Miene und rasiertem Gesicht, der eine Schürze von grauem Kaliko trug.
»Lassen Sie mir einen Fiaker kommen.«
»Sofort, Exzellenz!«
»Und sagen Sie der Person, die noch wartet, es ist gut, ich danke, und würde kommen.«
»Es ist nicht sehr passend,« dachte Nechludoff, »aber ich kann nicht schreiben, jedenfalls werde ich sie heute sehen.«
Er kleidete sich an und trat auf die Freitreppe. Der Wagen, den er gewöhnlich nahm, ein eleganter Wagen mit Gummirädern, stand bereits da, und wartete, auf ihn. »Gestern abend,« sagte der Kutscher, sich halb zu ihm wendend – »waren Sie kaum von dem FürstenKortschagin weggegangen, als ich ankam. Der Portier meinte: ›Er ist eben fort.‹«
»Sogar die Kutscher kennen meine Beziehungen zu den Kortschagins,« dachte Nechludoff und legte sich von neuem die Frage vor, ob er sich mit der jungen Prinzessin verheiraten sollte oder nicht. Noch immer konnte er sich über diese Frage nicht entscheiden. Zwei Argumente sprachen zu gunsten der Ehe im allgemeinen. Erstens sicherte ihm die Ehe mit der ruhigen Behaglichkeit des häuslichen Herdes ein anständiges, moralisches Leben; zweitens hoffte Nechludoff vor allen Dingen, eine Familie und Kinder würden seinem Leben ein Ziel geben, dem ein solches jetzt fehlte. Gegen die Ehe im allgemeinen sprach andererseits das Gefühl, das wir bereits erwähnt, die Furcht, die den Junggesellen in einem bestimmten Alter die Aussicht, ihre Freiheit zu verlieren, einflößt, sowie auch die unbewußte Angst vor dem Geheimnis, das eine Frauennatur stets umgiebt.
Zu gunsten der Ehe mit Missy im besonderen (Missy war der Beiname, den die junge Prinzessin Kortschagin, deren richtiger Name Marie war, in intimem Kreise trug) sprach zunächst der Umstand, daß das junge Mädchen aus guter Familie war und sich in allem, von ihren Toiletten angefangen bis zu der Art und Weise, wie sie sprach, ging und lachte, von den »gewöhnlichen« Frauen unterschied, und zwar nicht durch etwas Außergewöhnliches, sondern durch ihre »Vornehmheit«. Er fand keinen andern Ausdruck, um diese Eigenschaft zu bezeichnen, auf die er ganz besonderen Wert legte. Das zweite Argument bestand darin, daß die junge Prinzessin ihn besser zu schätzen wußte, als sonst jemand, und ihn besser verstand; und gerade in der Thatsache, daß sie ihn verstand, das heißt, seine hohen Vorzüge anerkannte, fand Nechludoff den Beweis ihrer Intelligenz und ihres sicheren Urteils. Doch es sprachen auch sehr ernste Argumente gegen die Heirat mit Missy im besonderen; erstens hätte Nechludoff aller Wahrscheinlichkeit nach ein anderes junges Mädchen finden können, das noch »vornehmer« als Missy war; zweitens zählte diese bereits 27 Jahre und hatte wahrscheinlich schon andere Männer geliebt. Dieser Gedanke aber war eine Qual für Nechludoff. Seine Eitelkeit konnte es nicht dulden, daß das junge Mädchen selbst früher einen andern als ihn geliebt hatte. Allerdings konnte er nicht verlangen,sie solle im voraus wissen, daß sie ihm eines Tages im Leben begegnen würde; doch schon der Gedanke, sie hätte einen andern Mann vor ihm lieben können, war für ihn eine Demütigung. So standen die Argumente für und wider gleich; und Buridan verglich sich lachend mit Buridans Esel. Doch trotzdem trieb er es genau so weiter, wie der Esel und wußte nicht, welchem der beiden Heubündel er sich zuwenden sollte.
»Außerdem kann ich ja, solange ich von Marie Wassiljewna keine Antwort erhalten habe und diese Angelegenheit nicht beendet ist, keine Verpflichtung eingehen,« dachte er, und das Gefühl der Notwendigkeit, seinen Entschluß noch hinauszuschieben, machte ihm Vergnügen.
»An all' das werde ich später denken,« sagte er sich wieder, während sein Wagen geräuschlos über den Asphalt des Hofes des Justizgebäudes rollte. »Es handelt sich jetzt für mich darum, eine soziale Pflicht mit der mir eigenen Sorgfalt zu erfüllen. Außerdem sind diese Sitzungen auch oft sehr interessant.«
Viertes Kapitel
Als Nechludoff das Gerichtsgebäude betrat, ging es auf den Korridoren schon sehr lebhaft zu. Aufseher liefen mit Papieren hin und her; andere
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