Auferstehung 1. Band
Diese Prozedur war ihm so vertraut geworden, daß er,um schneller damit fertig zu werden, zweierlei zu gleicher Zeit thun konnte.
Die Botschkoff zählte 43 Jahre. Stand: Bürgerin; Beruf: Kammerfrau in dem nämlichen Hotel Mauritania. Sie hatte nie vor Gericht gestanden und die Anklageakte erhalten. Auf die Fragen des Präsidenten antwortete sie mit herausfordernder Keckheit, als wenn sie sagen wollte: »Jawohl, ich bin die Euphemia Botschkoff; ich habe die Anklageakte erhalten; ich rühme mich dessen und erlaube niemandem, darüber zu lachen!« Sie wartete nicht, bis man ihr sagte, sie solle sich setzen, sondern setzte sich gleich, als das Verhör vorüber war.
»Ihr Name?« sagte der Präsident, sich mit ganz besonderer Freundlichkeit an die andere Angeklagte wendend.
»Sie müssen aufstehen!« fügte er in gütigem Tone hinzu, als er bemerkte, daß die Maslow sitzen blieb. Sie stand auf und betrachtete entschlossen, mit geradem Kopfe und vorgestreckter Brust, ohne zu antworten, den Präsidenten mit ihren naiven, schwarzen Augen.
»Wie nennt man Sie?«
Sie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.
»Man nannte mich Ljuba!« erwiderte sie.
Nechludoff, der sich inzwischen sein Pincenez aufgesetzt, betrachtete die Angeklagte während ihres Verhörs. »Das ist unmöglich,« dachte er, während er die Augen auf das Gesicht der Angeklagten richtete. »Sie heißt Ljuba; das ist nicht derselbe Name! Doch diese wunderbare Aehnlichkeit!«
Der Präsident wollte zu einer andern Frage übergehen; doch der Richter mit der Brille sagte ihm ganz leise einige Worte, die ihn zu verblüffen schienen. Er wandte sich zu der Angeklagten und fragte:
»Wie? Ljuba? Sie sind doch unter einem andern Namen eingetragen?«
Die Angeklagte schwieg.
»Ich frage Sie, wie ist Ihr richtiger Name?«
»Ihr Taufname?« setzte der Richter mit der Brille hinzu.
Sie murmelte etwas, ohne den Blick von dem Präsidenten zu verwenden.
»Sprechen Sie lauter!«
»Früher hieß ich Katharina!«
»Das ist unmöglich,« sagte sich Nechludoff wieder, aber er zweifelte jetzt nicht mehr und war sicher, daß sie es war, die Zofe Katuscha, die er einst geliebt, aufrichtig geliebt, die er später in einem Augenblick der Thorheit verführt, dann verlassen, und an die zu denken er bis dahin stets vermieden hatte, weil ihm die Erinnerung zu peinlich war und ihn zu tief demütigte, denn sie zeigte ihm, wie feig, wie gemein er, der sich auf seine Rechtschaffenheit so viel eingebildet hatte, sich gegen dieses Weib benommen hatte!
Ja, sie war es! Er bemerkte jetzt, klar und deutlich, auf ihrem Gesicht jene geheimnisvolle Eigentümlichkeit, die in jedem Gesicht liegt, die es von allen andern unterscheidet und etwas einzig Dastehendes, Besonderes aus ihm macht.
Trotz der krankhaften Blässe und der Abmagerung fand er diese Eigentümlichkeit in allen Zügen des Gesichts, im Munde, in den etwas schielenden Augen, in der Stimme, vor allem aber in dem wirren Blick wieder, in dem freundlichen Ausdruck, nicht allein des Gesichts, sondern der ganzen Persönlichkeit.
»Sie hätten das gleich sagen sollen!« erklärte der Präsident, noch immer in demselben sanften Tone, so unwiderstehlich war der Zauber, den sie ausübte. – »Und wie ist Ihr Vorname?«
»Ich bin ein natürliches Kind,« versetzte die Maslow.
»Das thut nichts; wie hat man Sie nach Ihrem Paten genannt?«
»Michaelowna!«
»Aber welches Verbrechen kann sie denn nur begangen haben,« fragte sich Nechludoff atemlos.
»Und Ihr Familienname, Ihr Zuname?« fuhr der Präsident fort.
»Man nannte mich ›die Gerettete.‹«
»Wie?«
»Die Gerettete,« versetzte sie mit leisem Lächeln. »Man nannte mich auch nach dem Namen meiner Mutter Maslow.«
»Ihr Stand?«
»Bürgerin!«
»Orthodoxer Religion?«
»Ja, orthodox!«
»Und welchen Beruf? Welches Gewerbe betrieben Sie?«
»Das wissen Sie wohl selber!« erwiderte die Maslow, wandte einen Moment die Augen ab und fing dann wieder an, den Präsidenten zu betrachten. Eine heiße Röte stieg ihr ins Gesicht.
Es lag etwas so Außergewöhnliches in dem Ausdruck ihres Gesichts, etwas so Schreckliches und Herzzerreißendes in ihren Worten und dem schnellen Blick, den sie auf die Anwesenden warf, dass der Präsident den Kopf senkte, und einen Augenblick ein allgemeines Schweigen in dem Saale herrschte. Dieses Schweigen wurde von einem aus dem Hintergrunde des Saales kommenden Lachen unterbrochen; der Nuntius gebot Schweigen, während der Präsident
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