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Auferstehung 1. Band

Auferstehung 1. Band

Titel: Auferstehung 1. Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo N. Tolstoi
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neuem und erklärte, da man behauptete, die Maslow hätte das Geld nicht genommen, so hätte man auch hinzufügen müssen, sie hätte nicht die Absicht zu töten gehabt.
    »Aber ich habe die Antworten doch noch einmal vorgelesen, bevor wir in den Gerichtssaal traten,« rechtfertigte sich der Obmann; »niemand hat widersprochen.«
    »Ich mußte während der Verlesung auf einen Augenblick hinausgehen,« entgegnete Peter Gerassimowitsch.»Aber wie konnten Sie das durchgehen lassen, Dimitri Iwanowitsch?«
    »Ich habe nichts bemerkt,« versetzte Nechludoff.
    »Die Sache war doch aber so leicht zu bemerken.«
    »Man kann das Uebel ja noch gut machen,« sagte Nechludoff.
    »Oh nein, dazu ist es zu spät, jetzt ist alles aus.«
    Nechludoff richtete den Blick auf die Angeklagten. Während über ihr Schicksal beraten wurde, saßen sie noch immer zwischen den beiden Soldaten auf ihrer Bank. Die Maslow lächelte, und ein häßlicher Gedanke schlich sich in Nechludoffs Seele. Eben, als er die Freisprechung der Maslow und ihre Freilassung erwartete, fragte er sich, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Jetzt aber raubte ihm die Zwangsarbeit und die Verschickung nach Sibirien jede Möglichkeit, die alten Beziehungen mit ihr wieder aufzunehmen. Der verwundete Vogel mußte bald aufhören, in der Jagdtasche zu zappeln.
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    Es kam so, wie es Peter Gerassimowitsch vorhergesagt hatte.
    Nach kurzer Beratung kehrten die drei Richter in den Saal zurück, und der Präsident verlas das Urteil, das folgendermaßen begann:
    »Am 28. April 188.. verurteilte die Kriminalabteilung des Bezirksgerichtes von N.... unter der Mitwirkung von Geschworenen auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät den Bauer Simon Kartymkin, 34 Jahre alt, und die Bürgerin Katharina Maslow, 27 Jahre alt, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie zur Verschickung zur Zwangsarbeit, und zwar Kartymkin auf die Dauer von acht Jahren und die Maslow auf die Dauer von vier Jahren, auf Grund des Artikels 23 des Strafgesetzbuches. Das Gericht verurteilt ferner die Bürgerin Euphemia Botschkoff, 43 Jahre alt, zum Verlust der persönlichen Rechte und zu einer Einschließung von drei Jahren auf Grund des Paragraph 48 des Strafgesetzbuches. Ferner verurteilt es die drei Angeklagten zur Tragung der Kosten, doch fallen dieselben, wenn die Angeklagten zahlungsunfähig sind, der Staatskasse anheim.« Das Urteil bestimmte ferner, daß der Ring den Erben des KaufmannsSmjelkoff zugestellt, und die übrigen Beweisstücke verkauft oder vernichtet werden sollten.
    Als Simon Kartymkin dieses Urteil hörte, drehte er sich hin und her, fuhr mit den Händen an den Nähten seiner Hose entlang und bewegte die Lippen. Die Botschkoff blieb unbeweglich, während Katharina Maslow plötzlich purpurrot geworden war.
    »Ich bin nicht schuldig,« rief sie, sobald der Präsident die Verlesung beendet hatte. »Ich bin nicht schuldig, ich schwöre es. Ich habe ihn nicht töten wollen, ich habe gar nicht daran gedacht; ich spreche die Wahrheit, die reine Wahrheit.«
    Diese wenigen Worte hatte sie mit solcher Kraft herausgeschrieen, daß der ganze Saal sie hörte. Dann ließ sie sich auf ihre Bank zurückfallen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und brach in lautes Schluchzen aus.
    Als Simon und Euphemia sich erhoben, um hinauszugehen, blieb sie noch immer schluchzend sitzen, und einer der Gendarmen mußte sie beim Arm packen, um sie zum Aufstehen zu bringen.
    »Nein, man darf die Sache nicht so hingehen lassen, sagte sich Nechludoff, der den bösen Gedanken, den er noch vor wenigen Minuten gehabt, vollständig vergessen hatte. Ohne nachzudenken, von einem unwiderstehlichen Triebe bewegt, stürzte er nach dem Gange, um das junge Weib, das man eben fortführte, noch einmal zu sehen.
    Vor der Thür drängte sich die Menge der Geschworenen und Advokaten schwatzend und gestikulierend, so daß Nechludoff ziemlich lange warten mußte, bevor er den Saal verlassen konnte. Als er sich endlich im Gange befand, war die Maslow schon ziemlich weit entfernt. Er lief auf sie zu, ohne sich darum zu kümmern, daß er Aufsehen erregte und blieb erst stehen, als er sie erreicht hatte. Sie weinte nicht mehr, doch ein heftiges Schluchzen hob zeitweise ihre Brust, während sie mit ihrem Kopftuch die Schweißtropfen abtrocknete, die ihr über die Wangen liefen. Sie ging an Nechludoff vorüber, ohne ihn anzusehen, und auch er machte keinerlei Bewegung, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er ließ sie an sich

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