Aufgebügelt: Roman (German Edition)
wesentlich pragmatischer.
»Mer kann jemand Neues lieben, ohne die alte Liebe zu verraten. Die Irene is net die Inge, des weiß isch, des seh isch, des spür isch, un es is trotzdem gut. Es tut mer gut. Isch verkümmer sonst.«
Um mir besser unter die Arme greifen zu können, hat Rudi kurz vor Christophs Auszug angefangen, regelmäßig einen Kochkurs der Volkshochschule zu besuchen. »Wenn de net da bist, Andrea, da kann isch den Kindern doch ebe mal was Scheenes zu esse mache!«
Eine Geste, die mich damals unglaublich angerührt hat. Rudi und ich sind ein ausgesprochen gutes Team. Wir haben uns einfach gern. Trotzdem war ich verwundert, als er beim Auszug seines Sohnes darauf beharrt hat, bei mir zu bleiben. Christoph auch. Er konnte es kaum fassen. Aber Rudi war entschlossen: »Die Andrea kann mich jetzt werklisch brauche, un wenischstens weiß isch, wohin isch gehör!« Das war für Rudis Verhältnisse eine ziemlich drastische Aussage. Christoph hat sich gefügt. Was blieb ihm auch anderes übrig. Ich glaube aber auch nicht, dass er ernsthaft mit seinem Vater allein in einer Männer-WG wohnen wollte, trotzdem war er ein bisschen beleidigt.
Seit ziemlich genau einem Jahr lebt Christoph nun in der früheren Wohnung von Rudi und Inge. Die ersten Wochen hat er tatsächlich in seinem alten Kinderzimmer verbracht. Mittlerweile hat er sich aber neu eingerichtet. Das weiß ich alles nur aus zweiter Hand, von meinen Kindern. Ich selbst habe wenig Lust, die Wohnung zu betreten. Warum auch? Schließlich bin ich nicht mehr zuständig. Weder fürs Putzen noch für die Deko. Für gar nichts mehr. Das alles ging sehr viel schneller, als ich mir hätte vorstellen können. An sich war der Auszug auch nur als Übergang gedacht, als Bedenkzeit sozusagen – wir wollten mal sehen, wie es sich entwickelt. Trennung zur Klärung. Aber auch befristet gedachte Arrangements können sich zeitlich verselbständigen. Christoph hat am Anfang noch ab und an davon gesprochen, was wir ändern könnten, wie unser Leben wieder in die Bahn kommen könnte. Sein Ausdruck: »In die Bahn.«
Warum gerade in die Bahn, habe ich nur gedacht, genau die hat mich doch immer gestört: die Bahn! Bahn klingt eingefahren, und genau das war es auch, was mich verrückt gemacht hat – diese Gleichförmigkeit, dieses Berechenbare und dadurch auch so unsagbar Langweilige. Nach gut drei Monaten war auch das Zurück-in-die-Bahn-Thema erledigt. Die neue Bahn, das Alleinleben ohne spürbare Verpflichtungen und vor allem auch ohne mich, schienen Christoph zu gefallen. »Lass uns abwarten!«, hat er entschieden.
Nur worauf warten? Auf eine Eingebung, einen plötzlichen Hormoneinschuss oder auf die große Rückbesinnung? Seitdem ist mein Herz irgendwie leer. Nicht, wie man immer sagt, schwer, aber leer. Das fühlt sich fast schlimmer an. In mir rührt sich so gar nichts.
Dabei war ich zu Anfang noch recht optimistisch. Sprüche wie: »Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue«, erschienen mir geradezu wegweisend. Vor allem, weil ich kurz vor unserer Trennung Herrn Reimer kennengelernt habe. Bastian, den Fußballtrainer meines Sohnes. Den großen, gutaussehenden Bastian, der mir so tatkräftig zur Seite gestanden hat, als es meinem Sohn schlechtging. Der mir ziemlich unverhohlen seine Zuneigung zeigte. Der an meiner Seite war, als es Christoph, mein Mann, hätte sein müssen. Bastian, mein Hoffnungsschimmer am Horizont.
»Ja, Andrea, hat’s dir jetzt die Sprache verschlache, soll ich misch an jemand anneren wende? Es tut mer leid, wenn isch irschendwie indiskret war«, reißt Rudi mich aus meinen Erinnerungen.
»Nein, ist schon okay, also, es macht mir nichts aus. Ich war nur kurz ganz woanders mit meinen Gedanken, aber was das Thema angeht … Also, auf dem Gebiet hab ich leider keine Ahnung, oder zum Glück keine Ahnung«, antworte ich, während ich mir mechanisch einen weiteren Toast mit Nutella schmiere. Ab morgen wird dieses Haus eine toastbrotfreie Zone sein, heute kommt es dann auf eine Scheibe mehr oder weniger auch nicht mehr an. Es ist wirklich erstaunlich, mit wie wenigen Bissen man so eine Toastbrotscheibe verschlingen kann. Man könnte sie sich auch direkt mit der Nutella-Butter-Seite auf den Bauch oder wahlweise auf die Hüften drücken. Bei der Konsistenz würde sie wahrscheinlich mit dem Bauchspeck verschmelzen oder verwachsen. Dabei hatte ich in den ersten vier Monaten nach Christophs Auszug herrlich abgenommen. Einfach so, ohne
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