Aufgebügelt: Roman (German Edition)
aber die Irene hat so was angedeutet, die hat da so ein Buch gelese und deshalb will se des ach ma ausprobiern!«
Mir dämmert es. Was wird Irene wohl gelesen haben? Shades of Grey wahrscheinlich. Den Mega-Bestseller, den mir meine Nachbarin Anita zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Und weil alle wie verrückt geschwärmt haben, immer mit leicht entrücktem Gesicht und einem frivolen Grinsen, habe ich das Buch natürlich auch artig gelesen. Ich war, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht. Braves, junges Ding, Studentin – klar! – aber natürlich auch bildschön, selbstverständlich noch ohne jegliche sexuelle Erfahrung, ganz unberührt, lernt durch Zufall unglaublich reichen Milliardär kennen, der aufgrund seiner traumatischen Vergangenheit nichts mit Blümchensex (Das ist dann wohl die Bezeichnung für das, was naive Menschen wie ich so treiben) anfangen kann und sie als devote Gespielin will – nach seinen Regeln …
Es gibt ordentlich Sex, ab und an mal was auf den Po, die ein oder andere Handschelle, Tücher, Reitgerten, Vibratoren und vieles mehr. Na ja, aber umgeworfen hat es mich nicht. Und mit meinen Phantasien hat es auch eher wenig zu tun. Der Gedanke, dass mir jemand den Hintern versohlt, so dass ich am nächsten Tag kaum mehr sitzen kann, ist mit meiner Idee von Erotik irgendwie nicht kompatibel. Ich bin und bleibe spießig, obwohl bei genauem Hinsehen Shades of Grey selbst irrsinnig spießig ist. Eigentlich eine Art Märchen, denn die Geschichte wäre weitaus weniger spektakulär, wenn der Milliardär ein Klempner wäre, als Geschenk kein schickes Auto, sondern einen Strauß Blumen von der Tanke mitbringen und in einer Zweizimmerwohnung hausen würde.
»Du meinst bestimmt dieses Shades of Grey «, sage ich zu Rudi, und wieder nickt er nur.
»Sie hat es mir mitgegebe, damit isch mich in die Materie einarbeite kann, aber ma ehrlich, Andrea, so was hat die Inge nie gewollt. Bei uns war alles, na ja, halt mehr so normal. Oft, aber normal. Was mer halt so macht, gell. Isch weiß schon ma net, wo mer überhaupt Handschelle und so was kaufe kann.«
Oh, bitte, jetzt keine Details aus dem Sexleben meiner verstorbenen Schwiegermutter und Rudi. Da geht es mir wie meinen Kindern, man will sich Eltern einfach nicht beim Kamasutra vorstellen. Ich möchte weder über Stellungen noch über Frequenz diskutieren. Eltern sind irgendwie geschlechtslos und sollten das bitte auch bleiben.
»Keine Details, Rudi!«, sage ich deshalb schnell, bin aber doch ein bisschen neugierig und frage gleich nach: »Wer soll denn die Handschellen tragen, du oder deine Irene?«
Irene ist Rudis neue Freundin. Hätte mir jemand noch vor einem Jahr gesagt, dass Rudi mal eine Freundin haben würde, hätte ich nur gelacht. Rudi hat so wahnsinnig um seine Frau getrauert, eine neue Bindung schien völlig unvorstellbar. Aber da sieht man es mal wieder. Männer sind nun mal nicht gern allein. Doch dass ausgerechnet Rudi sich so schnell wieder verlieben würde, hätte ich nie gedacht. Davon mal abgesehen ist Rudi wirklich vieles, aber sicherlich nicht besonders attraktiv. Und auch keine irrsinnig gute Partie. Er hat eine ganz ordentliche Rente, aber keineswegs spektakulär, ist nicht gerade groß und hat kaum mehr Haare auf dem Kopf. Er ist definitiv ein liebenswürdiger und großherziger Mann, aber keiner, der auf den ersten Blick viel hermacht. Rudi hat seine Irene im Kochkurs kennengelernt und sich quasi schockverliebt. Auch sie ist, wie Rudi, verwitwet. Laut Rudi ist Irene fast wie seine Inge. Als die beiden anbändelten, war ich zugegebenermaßen ziemlich skeptisch.
Aber Rudi hat mich mit seiner Verliebtheit überzeugt. »Isch hab die Irene aanfach sehr lieb, die is e wunderbare Frau un hat en riesisches Herz! Un ma ehrlisch, so groß is die Auswahl für mich ach net mehr!«
Da ist natürlich argumentativ was dran. Als ich die beiden das erste Mal gemeinsam erlebt habe, war mir klar, was Rudi so an Irene gefällt. Sie ähnelt seiner Inge, ist klein, rundlich und lieb. Ich gönne ihm sein neu gewonnenes Liebesleben durchaus, aber irgendwie hat mich seine Verliebtheit auch enttäuscht. Ich dachte, er sei der Typ für die eine, wirklich große Liebe, die auch den Tod überdauert und keinen Raum für eine neue lässt. Ich weiß, das klingt ein wenig pathetisch, aber es hätte halt etwas Tröstliches gehabt. Dass da jemand ist, sogar ein Mann, der so unbeschreiblich stark lieben kann – das hätte mir gefallen. Rudi sieht das
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