Aufruhr in Oxford
dagegen, wenn ich Sie Harriet nenne?»
«Eigentlich doch.»
«Ich kann aber nicht immerzu ‹Miss Vane› zu einem Menschen sagen, der alle meine häßlichen Geheimnisse kennt. Vielleicht sollte ich mich schon mal daran gewöhnen, ‹Tante Harriet› zu sagen … Was ist denn daran verkehrt? Sie können es doch nicht einfach ablehnen, meine Adoptivtante zu sein. Meine Tante Mary ist so ein richtiges Hausmütterchen geworden und hat keine Zeit mehr für mich, und die Schwestern meiner Mutter sind die Gorgonen im Original. Ich bin furchtbar ungeliebt und in allen praktischen Fragen völlig tantenlos.»
«Sie verdienen weder Tanten noch Onkel, wenn sie so mit ihnen umgehen. Wollen Sie mit diesen Schecks eigentlich heute fertig werden? Wenn nicht, habe ich nämlich noch anderes zu tun.»
«Na schön. Dann wollen wir mal alles bezahlen und Onkel Peter arm machen. Wunderbar, was Sie für einen guten Einfluß auf mich haben. Unbeugsames Pflichtbewußtsein. Wenn Sie mich richtig an die Hand nehmen würden, könnte aus mir vielleicht doch noch etwas Ordentliches werden.»
«Bitte unterschreiben.»
«Nur scheinen Sie nicht besonders entgegenkommend zu sein. Armer Onkel Peter!»
«Er wird ein armer Onkel Peter sein, wenn Sie fertig sind.»
«Das meine ich ja. Dreiundfünfzig, neunzehn, vier – es ist schockierend, wie einem andere Leute die Zigaretten wegrauchen, und die Hälfte davon stibitzt garantiert mein Bursche. Sechsundzwanzig, zwölf, acht. Neunzehn, sieben, zwei. Da sind hundert Pfund weg, bevor man was davon gesehen hat. Einunddreißig, vierzehn. Zwölf, neun, sechs. Fünf, fünfzehn, drei. Was ist an dem Gerücht eigentlich dran, daß es im Shrewsbury spukt?»
Harriet fuhr hoch. «Zum Teufel! Welche von unseren kleinen Kröten hat Ihnen denn davon erzählt?»
«Keine hat mir etwas erzählt. Ich verkehre nicht mit Studentinnen. Nette Mädchen, sicher, aber zu verlottert. Auf meinem Flur wohnt einer, der kam heute mit der Geschichte an … hab ganz vergessen, daß er mir eingeschärft hat, nichts weiterzusagen. Was ist denn da los? Und wozu die Heimlichtuerei?»
«Du lieber Himmel, und wir hatten sie so gebeten, nichts verlauten zu lassen! Die denken einfach nicht daran, wie so etwas dem College schaden kann.»
«Aber das Ganze ist doch sicher nur ein Ulk, oder?»
«Ich fürchte, es ist mehr. Hören Sie, wenn ich Ihnen sage, warum es geheim bleiben soll, versprechen Sie mir dann, es nicht weiterzusagen?»
«Na hören Sie mal», meinte Lord Saint-George treuherzig, «Sie wissen doch, wie mir die Zunge durchgeht. Sehr verläßlich bin ich nicht.»
«Ihr Onkel sagt, Sie sind es.»
«Onkel Peter? Großer Gott, er muß senil geworden sein! Traurig, wenn man so ein erstklassiges Gehirn vor die Hunde gehen sieht. Sicher, er ist nicht mehr der Jüngste … Sie machen ein Gesicht, als ob Sie die Sache ziemlich ernst nähmen.»
«Sie ist auch bitter ernst. Wir fürchten, daß die ganzen Unruhen von jemandem angezettelt werden, der nicht ganz richtig im Kopf ist. Keine Studentin – aber das können wir den Studentinnen natürlich nicht sagen, vor allem da wir nicht wissen, wer es ist.»
Der Vicomte machte große Augen. «Großer Gott! Wie unangenehm für Sie! Jetzt verstehe ich. Sie wollen natürlich nicht, daß so etwas nach außen dringt. Also, ich sage kein Sterbenswörtchen – ehrlich nicht. Und wenn jemand anders davon spricht, werde ich eine betont desinteressierte Miene aufsetzen. Hören Sie – ich überlege gerade, ob ich Ihr Gespenst nicht schon mal gesehen habe.»
«Gesehen?»
«Ja. Jedenfalls bin ich mal einer über den Weg gelaufen, die nicht ganz bei sich zu sein schien. Sie hat mich ein bißchen erschreckt. Sie sind der erste Mensch, dem ich davon erzähle.»
«Wann war das? Erzählen Sie’s mir.»
«Gegen Ende des letzten Trimesters. Ich war wieder mal fürchterlich in Geldverlegenheit und habe mit jemandem gewettet, daß ich ins Shrewsbury hineinkommen und –» Er unterbrach sich und sah mit einem Lächeln zu ihr auf, das auf so unheimliche Weise nicht sein eigenes war. «Was wissen Sie darüber?»
«Wenn Sie die Mauer neben dem Privateingang meinen, da kommt jetzt Stacheldraht drauf.»
«Aha! Alles ist heraus. Also, es war keine besonders gute Nacht für so etwas – Vollmond und so – aber für mich war es die letzte Chance, an die zehn Pfund zu kommen, also bin ich da rüber. Dahinter ist ein kleiner Garten.»
«Ja, der Dozentengarten.»
«Eben. Na ja, und wie ich da so
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