Aufruhr in Oxford
dazu keine Weigerung einfiel, auf die nicht mit Sicherheit ein vernichtender Kommentar gefolgt wäre, kam sie seinem Wunsch gemessen nach. Sie wollte gerade gehen, als die Schwester kam, um weiteren Besuch anzukündigen. Es handelte sich um eine junge Frau, übertrieben nach der neuesten Mode gekleidet, mit einem total verrückten Hut und purpurroten Fingernägeln. Unter lauten Mitleidsbekundungen näherte sie sich dem Bett.
«Jerry, mein armer Schatz! Wie furchtbar, wie entsetzlich!»
«Großer Gott, Gillian!» sagte der Vicomte nicht sehr begeistert. «Woher weißt du –?»
«Mein Herzchen! Du scheinst dich aber nicht sehr zu freuen, mich zu sehen.»
Harriet flüchtete und traf auf dem Flur die Schwester, die einen Armvoll Rosen in einer Schale arrangierte.
«Hoffentlich habe ich Ihren Patienten nicht zu sehr angestrengt mit all den Geschäften.»
«Nein, ich bin froh, daß Sie hier waren und ihm geholfen haben; es hat ihm schwer auf der Seele gelegen. Sind die Rosen nicht schön? Die junge Dame hat sie aus London mitgebracht. Er bekommt viel Besuch. Aber das wundert einen ja nicht, oder? Er ist so ein netter Junge, und was er alles zur Oberschwester sagt! Man muß sich ja so beherrschen, um nicht zu lachen. Jetzt sieht er aber schon viel besser aus, finden Sie nicht? Mr. Whybrow hat sich große Mühe mit der Kopfwunde gegeben. Er hat gerade die Fäden gezogen bekommen – o ja, es wird kaum noch etwas zu sehen sein. Das ist wirklich ein Glück, nicht? Wo er doch so hübsch ist.»
«Ja, er ist ein sehr gutaussehender junger Mann.»
«Er kommt nach seinem Vater. Kennen Sie den Herzog von Denver? Das ist auch ein schöner Mann. Die Herzogin würde ich ja nicht schön nennen; eher vornehm. Sie hatte furchtbare Angst, er könnte für sein Leben entstellt sein, und das wäre ja auch ein Jammer gewesen. Aber Mr. Whybrow ist ein hervorragender Chirurg. Sie werden sehen – er wird wieder ganz wie früher. Die Oberschwester freut sich auch so – wir sagen schon, sie hat ihr Herz an Nummer fünfzehn verloren. Ach ja, es wird uns allen leid tun, wenn er geht. Er hält uns in Stimmung.»
«Das kann ich mir denken.»
«Und wie er die Oberin aufzieht! Frechdachs nennt sie ihn, aber sie muß selbst immer über ihn lachen. Ach Gott, da läutet Nummer siebzehn schon wieder. Sie will wahrscheinlich ihre Bettpfanne. Sie finden doch den Weg allein hinaus?»
Harriet verließ das Krankenhaus mit dem Gefühl, daß es recht anstrengend wäre, Lord Saint-Georges Tante zu sein.
«Natürlich», sagte die Dekanin, «wenn während der Ferien was passiert –»
«Das bezweifle ich eigentlich sehr», meinte Harriet. «Zuwenig Publikum. Ich bin der Meinung, daß es ihr auf einen öffentlichen Skandal ankommt. Aber wenn etwas vorkommen sollte, wäre der Kreis sehr eingeengt.»
«Ja, die Dozentinnen sind fast alle fort. Und nachdem die Rektorin, Miss Lydgate und ich jetzt endgültig außer Verdacht stehen, werden wir im nächsten Trimester das College auch besser überwachen können. Was werden Sie tun?»
«Ich weiß es noch nicht. Ich habe schon daran gedacht, eine Zeitlang ganz nach Oxford zu kommen und hier zu arbeiten. Das Städtchen hat es mir angetan. Hier ist alles so ganz und gar unkommerziell. Ich glaube, ich bin schon ein bißchen verbiestert und brauche etwas mäßigenden Einfluß.»
«Und wenn Sie Ihren Baccalaureus Litterarum machen?»
«Das würde mir schon Spaß machen. Nur würde man Lefanu wohl nicht als Thema akzeptieren, oder? Es müßte schon etwas Langweiligeres sein. Ich würde gern mal ein bißchen Langeweile genießen. Man müßte weiterhin mit Romanen sein täglich Brot verdienen, aber zum Tee wäre dann etwas solides Akademisches ganz nett.»
«Nun, hoffentlich kommen Sie wenigstens für einen Teil des nächsten Trimesters. Sie können doch auch Miss Lydgate nicht im Stich lassen, bevor ihr Werk endlich im Druck ist.»
«Ich habe ja schon fast Angst, sie über die Ferien allein zu lassen. Sie ist mit ihrem Kapitel über Gerald Manly Hopkins nicht zufrieden; sie meint, sie hätte ihn womöglich von der ganz verkehrten Seite angegriffen.»
«O nein !»
«Ich fürchte, doch! … Na ja, darum werde ich mich jedenfalls kümmern. Und alles übrige – da müssen wir einfach abwarten, was passiert.»
Harriet verließ Oxford gleich nach dem Mittagessen. Als sie ihren Koffer ins Auto lud, kam Padgett zu ihr.
«Entschuldigung, Miss, aber die Dekanin meint, das möchten Sie vielleicht sehen, Miss. Es
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