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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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wurde heute morgen in Miss de Vines Kamin gefunden, Miss.»
    Harriet sah sich das halbverbrannte Blatt zerknülltes Zeitungspapier an. Aus dem Anzeigenteil waren Buchstaben ausgeschnitten worden.
    «Ist Miss de Vine noch im College?»
    «Sie ist um zehn nach zehn abgereist, Miss.»
    «Danke, Padgett, ich nehme das mit. Liest Miss de Vine für gewöhnlich die Daily Trumpet ?»
    «Das glaube ich nicht, Miss. Wohl eher die Times oder den Telegraph. Aber das läßt sich ja leicht feststellen.»
    «Natürlich. Und das hier kann jeder in den Kamin geworfen haben. Es beweist gar nichts. Aber ich bin sehr froh, daß ich es gesehen habe. Wiedersehen, Padgett.»
    «Wiedersehen, Miss.»

11. Kapitel
    Hebe dich fort, o Liebe, die nur Staub
begehrt, und strebe, Geist, nach höhern Dingen.
Dein Reich sei dort, wo nichts wird Rostes Raub;
was immer welkt, kann welke Lust nur bringen.
Zeuch ein den Strahl, leiste der Macht Verzicht,
dem süßen Joch dich beugend, das befreit
und Wolken teilend, als ein neues Licht,
tut beides: scheint und Sicht zu sehn verleiht.
    SIR PHILIP SIDNEY
     
    London erschien ihr ungewöhnlich leer und uninteressant. Dabei tat sich recht viel. Harriet traf ihren Agenten und ihren Verleger, unterschrieb einen Vertrag über Abdruckrechte, bekam die interne Geschichte des Streits zwischen Lord Gobbersleigh, dem Zeitungsbesitzer, und Mr. Adrian Cloot, dem Kritiker, zu hören, nahm herzlichen Anteil am dreiseitigen Krach zwischen der Gargantua-Farbfilmgesellschaft, dem Schauspieler Garrick Drury und Mrs. Snell-Wilmington, der Autorin von Passionsblumen, erfuhr alles über Miss Suger Toobins monströsen Verleumdungsprozeß gegen die Daily Headline und war natürlich leidenschaftlich daran interessiert, zu hören, daß Jacqueline Squills in ihrem neuesten Roman Glühbirnen , die Gewohnheiten und den Charakter ihres zweiten geschiedenen Mannes auf boshafteste Weise bloßgestellt hatte.
    Und doch konnten diese Zerstreuungen sie aus irgendeinem Grunde nicht amüsieren. Schlimmer noch war es, daß sie mit ihrem neuen Roman irgendwie steckengeblieben war. Sie hatte fünf Verdächtige, alle miteinander hübsch eingeschlossen in einer alten Mühle, die man nur über einen Holzsteg erreichen oder verlassen konnte, und alle fünf hatten sowohl ein Motiv als auch ein Alibi für einen netten, originellen Mord. In der Geschichte steckte kein grundlegender Fehler. Aber die Veränderungen und Verschiebungen der Beziehungen zwischen diesen fünf Menschen nahmen eine immer unnatürlichere, unglaubhaftere Symmetrie an. So waren Menschen nicht; so sahen menschliche Probleme nicht aus; im wirklichen Leben hatte man es mit rund zweihundert Leuten zu tun, die wie die Karnickel in einem College aus und ein liefen, ihre Arbeit taten und ihr Leben lebten, stets von Motiven getrieben, die sogar ihnen selbst unergründlich waren, und dann aus heiterem Himmel – nein, kein einfacher, verständlicher Mord, sondern sinnloser, unbegreiflicher Irrsinn.
    Wie konnte man überhaupt die Beweggründe und Gefühle anderer Menschen verstehen, wenn einem die eigenen schon rätselhaft blieben? Warum sah man nervös dem Empfang eines bestimmten Briefes am 1. April entgegen und war gereizt und gekränkt, wenn er nicht mit der ersten Post kam? Sehr wahrscheinlich war der Brief nach Oxford geschickt worden. Nichts Wichtiges war an diesem Brief, wußte man doch, was er enthalten und wie man ihn beantworten würde; und doch war es ärgerlich, dazusitzen und darauf zu warten.
    Es läutete. Auftritt Sekretärin mit einem Telegramm (das war es wahrscheinlich). Weitschweifige und überflüssige Depesche von der Repräsentantin einer amerikanischen Illustrierten, die mitteilte, daß sie in Kürze in England eintreffen werde und unbedingt mit Miss Harriet Vane über die Veröffentlichung einer Geschichte reden wolle. Herzlichst. Über was, in aller Welt, wollten diese Leute nur reden? Man schrieb doch keine Geschichten, indem man darüber redete.
    Es läutete. Die zweite Post. Brief mit italienischer Marke. (Kleine Verzögerung beim Sortieren, das mußte es sein.) Oh, danke, Miss Bracey. Irgendein Schwachsinniger, der ein sehr schlechtes Englisch schrieb, war ganz versessen darauf, Miss Vanes Werke ins Italienische zu übersetzen. Ob Miss Vane dem Absender mitteilen könne, was für Bücher sie schon alles geschrieben hatte? So waren diese Übersetzer alle – keine Sprachkenntnisse, kein Verstand, keine Bildung. Harriet sagte kurz, was sie von ihnen hielt, wies

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