Aufruhr in Oxford
Dekanin hat ja gesagt, wir sollen hier stehenbleiben. Aha, danke. So fühlt es sich schon besser an – ein wunderbares Gefühl der Sicherheit. Ah, da kommt ja Miss Martin! Miss Vane hat sich freundlicherweise als Friseuse für die Weiße Königin betätigt – aber sollte ich nicht lieber einen Hut aufsetzen?»
«Jetzt nicht», sagte Miss Martin entschieden. «Ich möchte jetzt einen ordentlichen Tee trinken, und Sie auch. Ich fühle mich wie ausgewrungen. Die ganze Zeit habe ich mich an den alten Professor Boniface hängen müssen, der schon neunundsiebzig und ziemlich vertrottelt ist. In die tauben Ohren mußte ich ihm brüllen, bis ich fast tot umfiel. Wieviel Uhr ist es? Na ja, mir geht es jedenfalls wie Marjory Flemings Truthahn – diese Ehemaligentreffen können mir gestohlen bleiben; ich muß jetzt etwas essen und trinken. Machen wir uns schnell mal an den Tisch heran, bevor Miss Shaw und Miss Stevens uns das letzte Eis wegschnappen.»
2. Kapitel
Es ist allen melancholischen Menschen eigen, sagt Mercuria lis, sich mit jedwedem Dünkel, den sie einst gepflegt haben, sehr ernst und leidenschaftlich und beständig zu befassen. Invitis occurrit, sie mögen tun, was sie wollen, loskommen können sie nicht davon, sondern müssen gegen ihren Willen tausende Male daran denken, perpetuo molestantur, nec oblivisci possunt, stets werden sie davon geplagt, in Gesellschaft oder allein; beim Mahl, beim Exerzitium, zu allen Zeiten und an allen Orten, non desinunt ea, quae minime volunt, cogitare; besonders wenn es schmerzt, können sie es nicht vergessen.
ROBERT BURTON
So weit, so gut, dachte Harriet, als sie sich zum Abendessen umzog. Es hatte ein paar unerfreuliche Momente gegeben, zum Beispiel als sie versucht hatte, ihre Beziehung zu Mary Stokes zu erneuern. Es war auch zu einer kurzen Begegnung mit Miss Hillyard gekommen, der Tutorin für Geschichte, die noch nie etwas für sie übrig gehabt hatte und jetzt den Mund verzog und spitz sagte: «Nun, Miss Vane, Sie haben ja allerlei erlebt, seit wir Sie zuletzt gesehen haben.» Aber es hatte auch schöne Augenblicke gegeben, die in sich die Verheißung auf Beständigkeit in einem heraklitischen Universum trugen. Sie hatte jetzt das Gefühl, auch das Festbankett überstehen zu können, obwohl Mary Stokes, wie schon befürchtet, dafür gesorgt hatte, daß sie neben ihr saß, was sicher noch anstrengend würde. Zum Glück hatte sie es bewerkstelligen können, daß Phoebe Tucker auf der anderen Seite von ihr saß. (In dieser Umgebung hießen die beiden für sie noch immer Stokes und Tucker.)
Das erste, was über sie hereinbrach, nachdem der Zug der Professorinnen langsam zur Hohen Tafel geschritten war, war der entnervende Lärm im Speisesaal. «Hereinbrach» war das richtige Wort. Er stürzte mit der Wucht eines Wasserfalls auf einen herab; er dröhnte einem um die Ohren wie das Gehämmer einer Höllenschmiede; er füllte die Atmosphäre wie das Klappern von fünfzigtausend Monotypen-Setzmaschinen. Zweihundert Frauenzungen, wie auf Knopfdruck losgelassen, schnatterten in höchster Tonlage und Lautstärke los. Harriet hatte ganz vergessen, wie das war, aber heute abend erinnerte sie sich wieder, daß sie jedesmal zu Beginn eines Trimesters gedacht hatte, sie werde verrückt, wenn dieser Lärm auch nur noch eine Minute länger anhielte.
Nach einer Woche hatte sich das dann gegeben. Die Gewohnheit hatte sie immun gemacht. Jetzt aber zerrüttete es ihre entwöhnten Nerven mit um so größerer Heftigkeit. Man schrie ihr in die Ohren, und schon schrie sie selbst zurück. Sie warf einen besorgten Blick zu Mary. Konnte eine Kranke wie sie das überhaupt aushalten? Mary schien es aber gar nichts auszumachen: sie wirkte viel aufgekratzter als tagsüber und brüllte Dorothy Collins munter die Ohren voll. Harriet wandte sich Phoebe zu.
«Menschenskind, ich hatte schon ganz vergessen, was das für ein Krach ist. Wenn ich genauso kreische, bin ich bald heiser wie eine Krähe. Ich werde lieber heulen wie ein Nebelhorn. Hast du was dagegen?»
«Keineswegs. Ich höre dich so ganz gut. Was hat der liebe Gott sich nur dabei gedacht, als er den Frauen so schrille Stimmen gab? Aber so viel macht es mir gar nicht aus. Es erinnert mich ein bißchen an die Streitereien der Einheimischen an den Ausgrabungsstellen. Aber heute verwöhnt man uns hier ganz schön, was? So gute Suppe haben wir nie gekriegt.»
«Sie haben sich eben für das Fest besondere Mühe gegeben. Außerdem ist die
Weitere Kostenlose Bücher