Aufruhr in Oxford
neue Quästorin recht gut, glaube ich; sie hatte auch schon mal was mit Wirtschaftslehre zu tun. Die gute alte Straddles fühlte sich ja über Verpflegungsfragen erhaben.»
«Schon, aber ich konnte die Straddles trotzdem gut leiden. Sie war so furchtbar anständig zu mir, als ich kurz vor dem Examen krank wurde. Erinnerst du dich daran?»
«Was ist aus ihr geworden, nachdem sie hier wegging?»
«Schatzmeisterin am Brontë College. Finanzen waren ja ihr eigentliches Gebiet. Sie hatte eine geradezu geniale Begabung für Zahlen.»
«Und was ist aus dieser einen geworden – wie hieß sie noch? – Peabody? Freebody? – du weißt doch – die immer so ernst davon gesprochen hat, daß es ihr Lebensziel sei, einmal Quästorin am Shrewsbury College zu werden?»
«Ach du meine Güte! Die hat sich mit Haut und Haaren irgendso einer neuen Religion verschrieben und ist einer ganz verrückten Sekte beigetreten, wo man im Lendenschurz herumläuft und Nüsse und Pampelmusen ißt und ganz der Liebe lebt. Das heißt, falls du Brodribb meinst.»
«Brodribb – ich wußte doch, daß es so was Ähnliches wie Peabody war. Ausgerechnet! Die war doch immer so ausgesprochen nüchtern und fade.»
«Wahrscheinlich ins andere Extrem umgeschlagen. Unterdrückte Triebe und so. Im Grunde ihres Herzens war sie nämlich furchtbar sentimental.»
«Ich weiß. Sie ist immer so herumgeschlichen und hatte sozusagen eine Schwäche für Miss Shaw. Vielleicht waren wir damals alle ziemlich gehemmt.»
«Na ja, daran leidet die heutige Generation jedenfalls nicht, wie ich mir habe sagen lassen. Keinerlei Hemmungen.»
«Nun hör aber auf, Phoebe. Wir hatten auch so unsere Freiheiten. Anders als zu der Zeit, bevor Frauen studieren durften. Klosterschülerinnen waren wir auch nicht.»
«Das nicht, aber wir wurden doch lange genug vor dem Krieg geboren, um uns noch an ein paar Beschränkungen gebunden zu fühlen. Wir hatten noch ein gewisses Verantwortungsgefühl mitbekommen. Und Brodribb kam aus einem sehr sittenstrengen Elternhaus – Positivisten oder Unitarier oder Presbyterianer oder so was. Die Heutigen sind die echte Kriegsgeneration.»
«Das ist richtig. Im übrigen glaube ich ja nicht, daß ich ein Recht habe, mit Steinen nach Brodribb zu werfen.»
«Ach du liebes bißchen! Das ist nun wieder etwas ganz anderes. Das eine ist natürlich; das andere ist – ich weiß nicht, aber für mich ist das doch eine völlige Degeneration der grauen Zellen. Sie hat sogar ein Buch geschrieben.»
«Über diese ‹Häuser der Liebe›?»
«Ja. Und die ‹Höhere Weisheit›. Und ‹Schöne Gedanke›. Lauter solches Zeug. Und durchgehend in sehr schlechtem Englisch.»
«O Gott! Ja – das ist schon schlimm, nicht? Ich verstehe gar nicht, warum Phantasiereligionen immer so einen schlechten Einfluß auf die Grammatik haben.»
«Ich fürchte, es ist der allgemeine geistige Verfall. Aber was davon nun Ursache und was Wirkung ist oder ob beides Symptome für etwas anderes sind, weiß ich nicht. Wenn ich an Trimmers Heilkräfte der Seele denke, und daß Henderson zu den Nudisten gegangen ist –»
«Nein!»
«Doch. Da sitzt sie, am Tisch nebenan. Darum ist sie doch so braun.»
«Und ihr Kleid ist so schlecht geschnitten. Wohl nach dem Motto: Wenn du nicht nackt gehen kannst, geh so schlecht angezogen wie möglich.»
«Manchmal frage ich mich, ob den meisten von uns nicht ein bißchen ganz normale, gesunde Schlechtigkeit gut täte.»
In diesem Moment lehnte Miss Mollison, die drei Plätze weiter auf derselben Tischseite saß, sich über ihre Nachbarinnen herüber und schrie etwas.
«Was?» schrie Phoebe zurück.
Miss Mollison lehnte sich noch weiter herüber und quetschte Dorothy Collins, Betty Armstrong und Mary Stokes dabei so zusammen, daß sie fast keine Luft mehr bekamen.
«Ich hoffe, daß Miss Vane Ihnen nichts allzu Blutrünstiges erzählt!»
«Nein», sagte Harriet laut. «Mrs. Bancroft läßt mir die Haare zu Berge stehen.»
«Wie denn das?»
«Sie erzählt mir die Lebensgeschichten unseres Jahrgangs.»
«Oh!» kreischte Miss Mollison bestürzt. Gerade wurde Lammbraten mit grünen Erbsen serviert, wodurch die Formation etwas aufgelockert wurde, und die Nachbarinnen bekamen wieder Luft. Aber zu Harriets maßlosem Entsetzen schienen Frage und Antwort einer ihr gegenübersitzenden Frau mit großer Brille, streng zurückgekämmtem, dunklem Haar und einer sehr entschiedenen Art ein Stichwort gegeben zu haben, denn sie beugte sich vor und
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