Aufruhr in Oxford
geschrieben haben – obwohl ich natürlich nicht kompetent bin, da ein Urteil aus wissenschaftlicher Sicht abzugeben. Ich habe mit Professor Higgins darüber gesprochen, der ein großer Verehrer von Ihnen ist, und der sagt, es eröffnet eine hochinteressante Möglichkeit, die ihm bisher noch nie in den Sinn gekommen ist. Er war nicht ganz sicher, ob das funktionieren könnte, aber er wollte alles tun, um es herauszufinden. Sagen Sie mal, worauf stützen Sie sich da eigentlich?»
«Nun, ich hatte natürlich fachmännischen Rat», sagte Harriet, die sich mit einemmal scheußlich unsicher fühlte und Professor Higgins aus tiefstem Herzen verwünschte. «Aber selbstverständlich –»
In diesem Augenblick erspähte Miss Lydgate eine andere ehemalige Schülerin in der Ferne und eilte davon. Phoebe Tucker war auf dem Weg über den Rasen bereits verlorengegangen. Harriet war ihrem Schicksal ausgeliefert. Nach zehn Minuten, in denen Miss de Vine ihrem Opfer unbarmherzig das Innerste nach außen kehrte und die Fakten aus ihm herausschüttelte wie ein resolutes Stubenmädchen den Staub aus einem Bettvorleger, es ausklopfte, bürstete, auffrischte, die Oberseite aufrauhte, wieder ausbreitete und mit fester Hand zurechtrückte, erschien zu ihrer Erlösung die Dekanin und machte der Diskussion ein Ende.
« Gott sei Dank, der Vizekanzler hat sich verabschiedet. Jetzt können wir endlich diesen elenden Bombasin ablegen und uns in unsern Partykleidern zeigen. Mußten wir uns wirklich um akademische Würden und das Vergnügen reißen, uns in voller Amtstracht an heißen Tagen dünsten zu lassen? So, er ist weg! Geben Sie mir diese tristen Fetzen, dann deponiere ich sie mit meinem zusammen im Dozentenzimmer. Haben Sie Ihren Namen drinstehen, Miss Vane? Das nenne ich ordentlich! In meinem Büro hängen schon drei herrenlose Talare. Die lagen am Trimesterende einfach in der Gegend herum. Natürlich ohne jeden Hinweis auf die Besitzer. Diese unordentlichen kleinen Kröten halten es anscheinend für unsere Aufgabe, uns um ihre jämmerlichen Siebensachen zu kümmern. Sie schmeißen sie achtlos irgendwohin und borgen sich dann andere aus; und wenn jemand ohne Talar draußen erwischt und dafür bestraft wird, kommt es immer nur daher, daß ihn jemand geklaut hat. Und schmuddelig sind die Sachen immer, wie Putzlumpen. Die müssen sie als Staublappen und zum Kaminausfegen benutzen. Wenn ich daran denke, wie unsere Generation sich aufgeopfert und das Recht auf diese Gewänder erkämpft hat – und diesen jungen Dingern sind sie einfach egal! Die laufen in Lumpen herum, wie das Bettelvolk in alten Illustrationen – so rückständig! Aber Modernsein heißt für sie anscheinend nur, das nachzumachen, was männliche Studenten vor einem halben Jahrhundert gemacht haben.»
«Mit einigen von uns Ehemaligen ist aber auch nicht gerade Ehre einzulegen», meinte Harriet. «Sehen Sie sich zum Beispiel Miss Gubbins an.»
«Ach du liebes bißchen! Diese Nervensäge. Und alles mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt. Wenn sie sich wenigstens mal den Hals waschen würde!»
«Ich glaube», sagte Miss de Vine, wie stets gewissenhaft darauf bedacht, die Fakten ins rechte Licht zu rücken, «das ist die natürliche Farbe ihrer Haut.»
«Dann soll sie Karotten essen und ihren Körper entschlacken», versetzte die Dekanin, indem sie Harriet den Talar aus den Händen riß. «Nein, bemühen Sie sich nicht. Ich brauche keine Minute, die Dinger durchs Fenster ins Dozentenzimmer zu werfen. Und unterstehen Sie sich nicht, hier wegzulaufen, sonst finde ich Sie nie mehr wieder.»
«Ist meine Frisur in Ordnung?» fragte Miss de Vine, plötzlich ganz menschlich und unsicher, sowie sie ohne Barett und Talar dastand.
«Na ja», sagte Harriet, indem sie die dichten, grauen Wellen inspizierte, aus denen eine Anzahl überstrapazierter Haarnadeln hervorstand wie Krocket-Tore. «Ein bißchen verrutscht.»
«Das tut sie immer», klagte Miss de Vine und drückte ziellos an den Nadeln herum. «Ich glaube, ich muß mir das Haar kurz schneiden lassen. Das dürfte viel weniger Arbeit machen.»
«Mir gefällt es so. Diese weiche Welle steht Ihnen. Lassen Sie mich mal heran, ja?»
«Gern», antwortete die Historikerin und ließ sich dankbar die Haarnadeln feststecken. «Ich bin sehr ungeschickt mit den Fingern. Irgendwo habe ich auch einen Hut», fuhr sie fort und sah sich dabei unschlüssig auf dem Hof um, als erwartete sie, den Hut auf einem Baum wachsen zu sehen, «aber die
Weitere Kostenlose Bücher