Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
Stevens. «Ich hatte zurückgeschaut und sie gesehen, und da habe ich sie angerufen.»
    «Was tat sie, als Sie sie sahen?»
    «Sie stand in ihrem Kanu.»
    «Nein, sie stand nicht», sagte Miss Edwards. «Ich habe mich umgeschaut, als Sie riefen, und da stand sie gerade erst auf.»
    «Da irren Sie sich», widersprach Miss Stevens. «Ich sage, sie stand, als ich sie sah, und ich habe gerufen, um sie aufzuhalten. Sie können doch gar nicht an mir vorbeigesehen haben.»
    «Ich habe es sehr deutlich gesehen», sagte Miss Edwards. «Miss Vane hat völlig recht. Erst als sie den Ruf hörte, ist sie aufgestanden.»
    «Ich weiß, was ich gesehen habe», versetzte die Quästorin störrisch.
    «Schade, daß Sie keinen Steuermann bei sich hatten», meinte die Dekanin. «Niemand kann ja so genau sehen, was hinter seinem Rücken vorgeht.»
    «Es ist auch kaum nötig, sich darüber zu streiten», sagte die Rektorin ein wenig scharf. «Die Tragödie ist verhindert worden, und das allein ist wichtig. Ich bin Ihnen allen über die Maßen dankbar.»
    «Ich wehre mich nur gegen die Unterstellung», sagte Miss Stevens, «daß ich das arme Mädchen erst dazu getrieben hätte, sich umzubringen. Und wer da meint, wir hätten nicht nach ihr suchen sollen –»
    «Das habe ich nicht gesagt», berichtigte Harriet sie müde. «Ich habe nur gesagt, wenn wirihr nicht nachgefahren wären, hätte sie es vielleicht gar nicht erst getan. Aber natürlich mußten wir ihr nachfahren.»
    «Was sagt denn Miss Newland selbst?» wollte die Dekanin wissen.
    «Sie fragt nur, warum wir sie nicht in Ruhe gelassen haben», antwortete Miss Edwards. «Ich habe ihr gesagt, sie soll nicht solchen Unfug reden.»
    «Das arme Kind!» rief Miss Shaw.
    «Wenn ich Sie wäre», antwortete Miss Edwards, «würde ich diese Mädchen nicht so sanft anfassen. Die sollen sich zusammenreißen, das tut ihnen besser. Sie lassen sie zuviel über sich selbst reden –»
    «Aber sie hat ja nicht mit mir geredet», sagte Miss Shaw. «Ich habe mich so bemüht, sie zum Reden zu bringen.»
    «Sie würden mehr reden, wenn man sie in Ruhe ließe.»
    «Ich glaube, wir sollten lieber zu Bett gehen», sagte Miss Martin.
     
    «Was für eine Nacht!» sagte Harriet, als sie hundemüde ins Bett fiel. «Eine herrliche Nacht!» Die Erinnerungen jagten durch ihren Kopf wie Katzen im Sack, und sie mußte an Mr. Pomfret und den Proproktor denken. Sie schienen zu einer anderen Welt zu gehören.

13 . Kapitel
    Lindern wird es meinen Schmerz,
wenn mein Denken ich enthülle,
denn es muß dir wohl ans Herz
gehen meiner Leiden Fülle.
Und den Freund macht es nicht wanken,
wenn wir kühn ihm anvertraun
unsre heimlichsten Gedanken,
daß sie sicher bei ihm sei ’n.
Dein getreuer Rat vermag mich
meinem Kummer zu entwinden,
sonst läßt traurige Betrübnis
nimmermehr mich Ruhe finden.
    MICHAEL DRAYTON
     
    «Sie müssen einsehen», sagte Harriet, «daß es unmöglich so weitergehen kann. Sie sollten jetzt fachmännische Hilfe hinzuziehen und die Folgen in Kauf nehmen. Jeder Skandal ist besser als ein Selbstmord und eine gerichtliche Untersuchung.»
    «Ich glaube, Sie haben recht», seufzte die Rektorin.
    Nur Miss Lydgate, die Dekanin und Miss Edwards saßen noch bei Dr. Baring im Wohnzimmer. Mit der tapfer zur Schau gestellten Zuversicht war es vorbei. Im Dozentenzimmer wandten die Kollegiumsmitglieder die Blicke voneinander ab und hüteten ihre Zungen. Sie waren nicht mehr wütend oder argwöhnisch. Sie hatten Angst.
    «Die Eltern des Mädchens werden sich wohl nicht still verhalten», fuhr Harriet erbarmungslos fort. «Wenn es ihr gelungen wäre, sich zu ertränken, hätten wir jetzt schon die Polizei und die Presse hier. Und nächstes Mal könnte der Versuch ihr gelingen.»
    «Nächstes Mal –» begann Miss Lydgate.
    «Es wird ein nächstes Mal geben», sagte Harriet. «Und es muß nicht einmal Selbstmord sein; vielleicht ein offener Mord. Ich habe Ihnen schon zu Anfang gesagt, daß ich unsere Maßnahmen für nicht ausreichend halte. Jetzt muß ich es ablehnen, die Verantwortung weiter mitzutragen. Ich habe mein Möglichstes versucht und versagt, jedesmal.»
    «Was könnte die Polizei denn tun?» fragte Miss Edwards. «Wir hatten sie schon einmal hier – wegen dieser Diebstahlsgeschichte, wenn Sie sich erinnern, Dr. Baring. Die haben ein großes Trara gemacht und die falsche Person verhaftet. Es war sehr ärgerlich.»
    «Ich halte auch die Polizei nicht für die richtige Adresse», sagte die Dekanin.

Weitere Kostenlose Bücher