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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Opfer gefunden, das für ihre Zwecke wie geschaffen war. Es waren an die dreißig Briefe («Und ich glaube nicht einmal, daß es alle sind», lautete der Kommentar der Dekanin) – voller Drohungen, Schmähungen, Anspielungen – alle erbarmungslos auf demselben Thema herumhämmernd:
    «Glaub ja nicht, daß du damit durchkommst.» – «Was wirst du tun, wenn du in der Prüfung durchfällst?» – «Du verdienst, daß du durchfällst, und ich werde dafür sorgen.» – Dann noch schrecklichere Andeutungen: «Merkst du nicht, wie dein Verstand nachläßt?» – «Wenn sie merken, daß du verrückt wirst, schicken sie dich nach Hause.» – Und schließlich unheildrohend: «Mach lieber gleich Schluß.» – «Besser tot als in der Klapsmühle.» – «An deiner Stelle würde ich mich aus dem Fenster stürzen.» – «Versuch’s mal im Fluß.» – Und so weiter und so fort; mit tödlicher Beharrlichkeit wurde da auf schwache Nerven eingedroschen, bis ihre Widerstandskraft am Ende war.
    «Wenn sie mir das doch nur gezeigt hätte!» weinte Miss Shaw.
    «Das hätte sie natürlich nie getan», sagte Harriet. «Man muß schon sehr selbstsicher sein, um zuzugeben, daß einen jemand für verrückt hält. Das ist ja das Gemeine.»
    «Der Gipfel der Niedertracht –» sagte die Dekanin. «Wenn ich mir vorstelle, wie das arme Kind alle diese Scheußlichkeiten gesammelt und darüber gegrübelt hat! Den, der das getan hat, könnte ich umbringen!»
    «Es war eindeutig ein Mordversuch», sagte Harriet. «Aber die Frage ist jetzt, ob er gelungen ist.»
    Es wurde still. Dann sagte die Rektorin mit ausdrucksloser Stimme:
    «Einer der Schlüssel zum Bootshaus fehlt.»
    «Miss Stevens und Miss Edwards sind mit der ‹Wasserfliege› den Fluß hinauf gerudert», sagte die Dekanin, «und Miss Burrows und Miss Barton sind mit dem andern Zweier zur Isis hinuntergefahren. Die Polizei sucht auch. Sie sind vor einer Dreiviertelstunde aufgebrochen. Eher hatten wir das Fehlen des Schlüssels nicht entdeckt.»
    «Dann können wir nicht viel tun», sagte Harriet und unterdrückte die gereizte Bemerkung, daß man die Bootshausschlüssel in dem Moment hätte überprüfen müssen, als Miss Newlands Fehlen bemerkt wurde. «Miss Haydock – hat Miss Newland etwas zu Ihnen gesagt, als Sie mit ihr draußen waren – irgend etwas –, woraus hervorgehen könnte, wohin sie möglicherweise gehen würde, wenn sie sich ertränken wollte?»
    Dieser Satz, zum erstenmal unverblümt ausgesprochen, erschütterte alle. Miss Haydock legte den Kopf in die Hände.
    «Moment», sagte sie. «Mir fällt da etwas ein. Wir waren ein Stück über den Park hinaus – ja, es war nach dem Tee, und wir sind noch ein Stückchen weitergefahren, bevor wir umkehrten. An einer ekligen Stelle hätte ich beinahe mal meine Stake verloren. Ich weiß noch, daß ich gesagt habe, an der Stelle möchte ich nicht gern hineinfallen, wegen der Schlingpflanzen. Der Untergrund ist dort schlecht – schlammig und mit tiefen Löchern. Miss Newland hat gefragt, ob das nicht die Stelle sei, wo voriges Jahr ein Mann ertrunken ist. Ich habe gesagt, das wisse ich nicht, aber ich glaube, es sei dort irgendwo in der Nähe gewesen. Sie hat dann nichts mehr gesagt, und ich habe es vergessen, bis es mir eben wieder einfiel.»
    Harriet sah auf die Uhr.
    «Um halb zehn ist sie zum letztenmal gesehen worden. Sie hätte erst zum Bootshaus gemußt. Hatte sie ein Fahrrad? Nein? Dann hätte sie dafür fast eine halbe Stunde gebraucht. Zehn Uhr. Sagen wir weitere vierzig Minuten bis zu den Rollers, wenn sie nicht sehr schnell ist –»
    «Sie stakt nicht gut. Sie würde sicher ein Kanu nehmen.»
    «Sie müßte gegen Wind und Strömung paddeln. Sagen wir Viertel vor elf. Und sie müßte das Kanu allein über die Rollers bringen. Das kostet Zeit. Aber sie hätte immer noch über eine Stunde gehabt. Wir kommen vielleicht zu spät, aber einen Versuch ist es wert.»
    «Sie kann aber doch überall ins Wasser gegangen sein.»
    «Natürlich. Aber es ist eine Chance. Wenn Leute sich etwas in den Kopf gesetzt haben, bleiben sie meist dabei. Und sie entschließen sich auch nicht immer sofort.»
    «Soweit ich die Psyche des Mädchens kenne –» begann Miss Shaw.
    «Was diskutieren wir hier herum?» sagte Harriet. «Entweder ist sie tot, oder sie lebt noch, und wir müssen es jetzt darauf ankommen lassen. Wer kommt mit? Ich nehme den Wagen – das geht schneller als mit einem Boot. Wir können uns irgendwo oberhalb der Parks

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