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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ein guter Hintergrund für eine Romanhandlung anbot. Finanziell hatte die Reise sich gelohnt. Sie hatte Stoff für zwei komplette Romane gesammelt, von denen einer in Madrid, der andere in Carcassonne spielte, eine Reihe kurzer Kriminalgeschichten geschrieben, deren Schauplatz Hitler-Berlin war, sowie eine Anzahl Reiseberichte verfaßt und damit ihre Kosten mehr als gedeckt. Vor ihrer Abreise hatte sie Wimsey gebeten, ihr nicht zu schreiben. Er hatte das Verbot mit unerwarteter Demut hingenommen.
    «Aha. Na schön. Vade in pacem. Wenn Sie mich je brauchen, finden Sie meinen Laden an der gewohnten Straßenecke.»
    Hin und wieder hatte sie in den englischen Zeitungen seinen Namen gelesen, und das war alles. Anfang Juni des darauffolgenden Jahres war sie nach Hause zurückgekehrt, überzeugt, daß es nach so langer Pause nicht schwierig sein könne, ihre Beziehungen kühl und freundschaftlich zu beenden. Inzwischen würde er wohl darob ebenso beruhigt und erleichtert sein wie sie. Kaum war sie also wieder in London, zog sie in eine neue Wohnung am Mecklenburg Square um und begann an dem Carcassonne-Roman zu arbeiten.
    Ein unbedeutender Vorfall kurz nach ihrer Rückkehr bot ihr Gelegenheit, ihre eigenen Reaktionen auf die Probe zu stellen. Sie ging mit einer geistreichen jungen Schriftstellerin und deren Mann, der Anwalt war, zum Rennen in Ascot – teils zum Spaß, teils um ein bißchen Lokalkolorit für eine Kurzgeschichte aufzuschnappen, in der ein bedauernswertes Opfer auf der Königlichen Tribüne plötzlich tot umfallen sollte, und zwar gerade in dem Augenblick, da aller Augen gebannt dem Finish des Rennens folgten. Während Harriet so ihren Blick über diesen geheiligten Bezirk schweifen ließ – von außen, versteht sich –, bemerkte sie, daß zum Lokalkolorit auch ein schlankes Schulterpaar gehörte, berückend maßgeschneidert und gekrönt von einem wohlbekannten Papageienprofil, das ein verwegen nach hinten geschobener blaßgrauer Zylinder noch betonte. Um diese Erscheinung herum wogte ein Meer von Sommerhüten, was an eine leicht deplazierte, aber teure Orchidee in einem Rosenstrauß erinnerte. Aus den Äußerungen dieser Gesellschaft schloß Harriet, daß die Sommerhüte auf völlig chancenlose, absolute Außenseiter setzten und der Zylinderhut ihre Instruktionen mit einer Belustigung entgegennahm, die an Ausgelassenheit grenzte. Jedenfalls war seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch genommen.
    «Ausgezeichnet», dachte Harriet. «Da gibt es also keinen Grund zur Sorge.» Hocherfreut über ihre außergewöhnliche Gemütsruhe kehrte sie nach Hause zurück. Drei Tage später las sie gerade in der Morgenzeitung, daß bei einem literarischen Lunch auch «Miss Harriet Vane, die bekannte Kriminalschriftstellerin» unter den Gästen zu sehen gewesen sei, als das Telefon sie störte. Eine bekannte Stimme fragte mit ungewohnter Heiserkeit und Unsicherheit:
    «Miss Harriet Vane? … Sind Sie es, Harriet? Ich habe gelesen, daß Sie wieder zurück sind. Gehen Sie demnächst mal mit mir zu Abend essen?»
    Darauf gab es verschiedene mögliche Antworten, darunter ein abweisendes vernichtendes: «Verspricht dort, bitte?» Da sie jedoch unvorbereitet und von Natur aus ehrlich war, erwiderte Harriet schwach:
    «Oh, danke, Peter. Aber ich weiß nicht, ob …»
    «Ob was?» fragte die Stimme mit einem Anflug von Spott. «Jeder Abend schon besetzt, von heute bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?»
    «Natürlich nicht», sagte Harriet, die nun gar nicht die aufgeblasene Vielbegehrte spielen mochte.
    «Dann sagen Sie, wann.»
    «Ich hätte heute abend Zeit», antwortete Harriet in der Hoffnung, die Kürze des Termins könnte ihn nötigen, sich mit anderen Verpflichtungen zu entschuldigen.
    «Wunderbar», sagte er. «Ich auch. Kosten wir die Süße der Ungebundenheit. Sie haben übrigens eine neue Telefonnummer.»
    «Ja, ich habe auch eine neue Wohnung.»
    «Soll ich Sie abholen? Oder wollen wir uns um sieben Uhr bei Ferrara treffen?»
    «Bei Ferrara?»
    «Ja. Sieben Uhr, falls Ihnen das nicht zu früh ist. Anschließend können wir ins Theater gehen, wenn Sie Lust haben. Also, bis heute abend. Und vielen Dank.»
    Er hatte schon aufgelegt, bevor sie widersprechen konnte. Sie selbst hätte nicht unbedingt Ferrara gewählt. Dieses Restaurant war ihr zu vornehm und zu öffentlich. Da ging jeder hin, der eben konnte; aber die Preise waren dort so hoch, daß es sich vorerst wenigstens noch den Luxus erlauben konnte, nie überfüllt zu

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