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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sein.
    Und das hieß, daß jeder, der da war, auch gesehen wurde. Wer die Absicht hatte, seine Beziehungen zu einem anderen zu lösen, fing das vielleicht nicht gerade am geschicktesten dadurch an, daß er sich ausgerechnet bei Ferrara mit ihm zeigte.
    Sonderbarerweise würde dies das erste Mal sein, daß sie mit Peter Wimsey im Westend dinierte. Im ersten Jahr nach ihrem Prozeß hatte sie sich überhaupt nirgends in der Öffentlichkeit zeigen wollen, auch nicht, wenn sie das Geld gehabt hätte, sich die entsprechenden Kleider dafür zu kaufen. Damals hätte er sie in die stilleren und besseren Restaurants von Soho geführt oder war, öfter noch, trotz ihres Murrens im Auto mit ihr aus der Stadt zu einem abgelegenen Gasthaus gefahren, das brauchbare Köche beschäftigte. Sie hatte nicht die Kraft gehabt, solche Ausflüge rundweg abzulehnen, und wahrscheinlich hatten sie ihr sehr geholfen, das Grübeln eine Weile zu vergessen, auch wenn sie die unerschütterlich gute Laune ihres Gastgebers oft nur mit bitteren oder verletzenden Worten vergolten hatte. Im Rückblick erstaunte seine Geduld sie ebenso, wie seine Beharrlichkeit sie reizte.
    Bei Ferrara begrüßte er sie mit demselben raschen, versteckten Lächeln und redselig wie immer, doch diesmal auch mit mehr formeller Höflichkeit, als sie sonst an ihm kannte. Er hörte sich interessiert, ja neugierig ihren Reisebericht an, und sie stellte (eigentlich erwartungsgemäß) fest, daß ihm die Landkarte Europas sehr vertraut war. Er steuerte ein paar lustige Episoden aus seinen eigenen Erlebnissen bei und fügte einige kenntnisreiche Anmerkungen über die Lebensbedingungen im neuen Deutschland hinzu. Es überraschte sie, ihn als so intimen Kenner der internationalen Politik zu erleben, denn sie hatte ihm eigentlich kein großes Interesse an öffentlichen Angelegenheiten zugetraut. Ehe sie sich’s versah, führte sie mit ihm eine lebhafte Debatte über die Aussichten der Konferenz von Ottawa, auf die er offenbar keine großen Hoffnungen setzte; und bis sie beim Kaffee anlangten, war sie so versessen darauf, ihn von irgendwelchen verdrehten Abrüstungsideen abzubringen, daß sie ganz vergaß, mit welcher Absicht (falls überhaupt) sie sich mit ihm getroffen hatte. Im Theater gelang es ihr von Zeit zu Zeit, sich daran zu erinnern, daß etwas Entscheidendes gesagt werden mußte; aber der Konversationston blieb dann so kühl, daß es schwierig gewesen wäre, das neue Thema zur Sprache zu bringen.
    Als das Stück vorüber war, setzte er sie in ein Taxi, fragte, welche Adresse er dem Fahrer nennen solle, bat förmlich um die Erlaubnis, sie nach Hause begleiten zu dürfen, und nahm neben ihr Platz. Jetzt war sicherlich der Moment gekommen, aber er plauderte gerade so nett über die georgianische Architektur Londons. Erst als sie durch die Guildford Street fuhren, kam er ihr zuvor, indem er (nach einer Pause, in der sie sich vornahm, den Sprung zu wagen) fragte:
    «Ich sehe also, daß Sie mir noch immer keine andere Antwort anzubieten haben, Harriet?»
    «Nein, Peter. Es tut mir leid, aber ich kann nichts anderes sagen.»
    «Na schön. Keine Bange, ich will versuchen, Ihnen nicht lästig zu fallen. Aber wenn Sie mich hin und wieder ertragen könnten, wie heute abend, wäre ich Ihnen sehr dankbar.»
    «Ich glaube, das wäre nicht fair gegen Sie.»
    «Wenn das der einzige Grund ist, bin ich dafür der beste Richter.» Dann fuhr er wieder mit seiner üblichen Selbstironie fort:
    «Alte Gewohnheiten sterben schwer. Ich kann Ihnen nicht versprechen, mich von Grund auf zu ändern. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen in angemessenen Abständen weiter Heiratsanträge machen – zum Geburtstag und an Nationalfeiertagen wie dem Guy-Fawkes-Tag oder dem Krönungstag. Aber betrachten Sie das, wenn Sie wollen, als reine Formalität. Sie brauchen nicht das mindeste darauf zu geben.»
    «Peter, es ist doch närrisch, so weiterzumachen.»
    «Apropos närrisch – und natürlich am ersten April.»
    «Sie würden das Ganze besser vergessen – eigentlich hatte ich das schon gehofft.»
    «Ich habe ein ausgesprochen undiszipliniertes Gedächtnis. Es merkt sich Dinge, die es vergessen sollte, und vergißt solche, die es sich merken sollte. Aber es ist noch nicht ganz und gar in den Ausstand getreten.»
    Das Taxi hielt, und der Fahrer sah sich fragend um. Wimsey half ihr aus dem Wagen und wartete mit feierlichem Ernst, bis sie ihren Hausschlüssel gefunden hatte. Dann nahm er ihn ihr ab, schloß die

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