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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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gebunden, aber ein gewisses Maß an christlichem Bekenntnis wurde für das Gemeinschaftsleben als unverzichtbar erachtet. Die Kapelle mit ihren bunten Fenstern, der schlichten Eichentäfelung und dem schmucklosen Abendmahltisch stellte eine Art kleinster gemeinsamer Teiler für alle Sekten und Glaubensrichtungen dar. Auf dem Weg dorthin fiel Harriet ein, daß sie ihren Talar seit gestern nachmittag nicht mehr gesehen hatte, als die Dekanin ihn ins Dozentenzimmer gebracht hatte. Da sie nicht uneingeladen in dieses Allerheiligste eindringen mochte, begab sie sich auf die Suche nach Miss Martin, die offenbar beide Talare mit in ihr Zimmer genommen hatte. Während Harriet sich den ihren überwarf, knallte einer der losen Ärmel mit lautem Krach gegen einen nahen Tisch.
    «Gnade!» rief die Dekanin. «Was war denn das?»
    «Mein Zigarettenetui», sagte Harriet. «Ich dachte schon, ich hätte es verloren. Gestern hatte ich keine Tasche bei mir, da habe ich es in den Talarärmel gesteckt. Dafür sind die Ärmel schließlich da, oder?»
    «Mein Gott, ja! Die meinen sind gegen Ende des Trimesters immer die reinsten Wäschekörbe. Wenn ich absolut kein sauberes Taschentuch mehr in der Schublade habe, krempelt mein Mädchen mir die Talarärmel um. Einmal habe ich es auf zweiundzwanzig gebracht – aber da war ich auch eine Woche lang schwer erkältet gewesen. Äußerst unhygienische Kleidungsstücke. Hier ist Ihr Barett. Ihren Überwurf brauchen Sie nicht mitzunehmen – den können Sie nachher hier abholen. Was haben Sie heute getrieben? Ich habe Sie kaum zu Gesicht bekommen.»
    Wieder fühlte Harriet sich im ersten Augenblick gedrängt, von der häßlichen Zeichnung zu berichten, aber wieder ließ sie es bleiben. Sie nahm die Sache wohl doch zu ernst. Warum überhaupt daran denken? So erzählte sie also von ihrem Gespräch mit Miss Hillyard.
    «Großer Gott!» rief die Dekanin. «Das ist Miss Hillyards Steckenpferd. So’n Käse, wie Mrs. Gamp sagen würde. Natürlich lassen die Männer sich nicht gern die Steinchen aus ihrer Krone brechen – wer hat das schon gern? Ich finde es richtig edel von ihnen, daß sie uns überhaupt erlauben, hier an ihrer Universität unser Unwesen zu treiben. Jahrhundertelang waren sie die Herren, da brauchen sie jetzt schon ein bißchen Zeit, sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Meine Güte, ein Mann braucht doch meist schon Monate, um sich nur mit einem neuen Hut anzufreunden. Und gerade wenn Sie sich anschicken, ihn auf dem Flohmarkt zu verkaufen, sagt er: ‹Das ist aber ein hübscher Hut, den du da aufhast, wo hast du den her?› Dann sagen Sie: ‹Mein lieber Henry, das ist der, den ich mir letztes Jahr gekauft habe und von dem du gesagt hast, ich sehe dann aus wie der Affe auf der Drehorgel›. Das sagt mein Schwager nämlich jedesmal, und meine Schwester wird dann fuchsteufelswild.»
    Sie gingen die Stufen zur Kapelle hinauf.
     
    Es war doch nicht so schlimm gewesen. Sicher nicht so schlimm wie erwartet. Gewiß war es traurig, wie sehr sie sich von Mary Stokes entfremdet hatte, und auf eine Art war es auch etwas ärgerlich, daß Mary Stokes diese Tatsache einfach nicht anerkennen wollte. Harriet hatte vor langem entdeckt, daß Menschen einem nicht schon deshalb lieber werden, nur weil sie krank oder tot sind – und schon gar nicht, weil man sie einmal sehr gern gehabt hat. Manche glücklichen Gemüter konnten durchs Leben gehen, ohne diese Entdeckung je zu machen, und diese Männer und Frauen nannte man dann «beständig». Aber mit einigen alten Bekannten machte das Wiedersehen auch Freude, und dazu gehörten die Dekanin und Phoebe Tucker. Und eigentlich waren alle ungemein nett zu ihr gewesen. Einige auch ein bißchen albern und neugierig, was «diesen Wimsey» betraf, aber zweifellos auch das mit den besten Absichten. Miss Hillyard mochte da eine Ausnahme sein, aber Miss Hillyard hatte schon immer eine etwas verdrehte und unangenehme Art gehabt.
    Während der Wagen über die Chiltern-Hügel dahinkurvte, mußte Harriet in der Erinnerung an ihr Abschiedsgespräch mit der Dekanin und der Quästorin im stillen grinsen.
    «Schreiben Sie uns nur ja recht bald ein neues Buch. Und denken Sie daran, wenn hier in Shrewsbury je etwas Komisches passiert, werden wir Sie rufen, damit Sie den Fall aufklären.»
    «Gut», sagte Harriet. «Wenn Sie mal eine verstümmelte Leiche in der Kantine finden, schicken Sie mir ein Telegramm – und vergessen Sie nicht, Miss Barton die Leiche inspizieren

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