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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Haustür für sie auf, sagte gute Nacht und war auf und davon.
    Im Treppenhaus gestand sie sich ein, daß ihre Flucht in dieser Hinsicht also vergebens gewesen war. Sie zappelte erneut in diesem Netz von Unschlüssigkeit und Sorge. In ihm schien die vorübergehende Trennung allerdings eine gewisse Veränderung bewirkt zu haben; aber das machte den Umgang mit ihm sicher nicht leichter.
    Er hatte sein Versprechen gehalten und sie kaum belästigt. Er war viel aus der Stadt gewesen, um Kriminalfälle zu lösen, von denen einige in die Zeitungsspalten sickerten, während andere sich in diskretem Dunkel von selbst zu erledigen schienen. Ein halbes Jahr lang war er dann selbst außer Landes gewesen und hatte als Begründung dafür nur «Geschäfte» angegeben. Einen Sommer hatte er sich mit einem merkwürdigen Fall befaßt, für den er eine Stelle in einer Werbeagentur hatte annehmen müssen. Das Büroleben hatte er ganz unterhaltsam gefunden; aber die Geschichte hatte ein sonderbares und schmerzliches Ende genommen. Eines Abends war er gekommen, um eine früher getroffene Verabredung zum Abendessen einzuhalten, war dann aber offenbar außerstande gewesen, etwas zu essen oder auch nur sich zu unterhalten. Schließlich hatte er sich zu gräßlichem Kopfweh und Fieber bekannt und es zugelassen, daß sie ihn höchstpersönlich nach Hause brachte. Sie hatte sich solche Sorgen um ihn gemacht, daß sie ihn nicht allein lassen wollte, bevor sie ihn sicher in seiner Wohnung und in Bunters tüchtigen Händen wußte. Der hatte sie dann beruhigt: Es sei nichts weiter als die Nachwirkung – keine Seltenheit nach Abschluß eines unangenehmen Falles, aber stets nur von kurzer Dauer. Ein, zwei Tage später hatte der Patient angerufen, sich entschuldigt und eine neue Verabredung mit ihr getroffen, bei der er dann bemerkenswert munter gewesen war.
    Harriet hatte sonst nie den Fuß über seine Schwelle gesetzt, und ebensowenig hatte er sich je in ihre Abgeschiedenheit am Mecklenburg Square gedrängt. Zwei- oder dreimal hatte sie sich aus Höflichkeit bemüßigt gefühlt, ihn hereinzubitten, aber er hatte jedesmal eine Entschuldigung gefunden, und sie hatte seine Absicht verstanden, ihr wenigstens diesen Bereich frei von unangenehmen Assoziationen zu belassen. Daß er nicht etwa die einfältige Absicht verfolgte, sich durch Abwesenheit begehrter zu machen, war klar; es schien eher, als wollte er für irgend etwas Wiedergutmachung leisten. Seine Heiratsanträge erneuerte er durchschnittlich alle drei Monate, aber auf eine Art, die keiner Seite Veranlassung zu Gefühlsausbrüchen gab. Einmal war die Frage am ersten April per Post aus Paris gekommen und hatte aus einem einzigen lateinischen Satz bestanden der mit einem verzagten « Num …? » begann – einer Partikel, die «stets eine Verneinung erwartet». Harriet hatte in einem lateinischen Lehrbuch nach «höflichen Verneinungsformen» gesucht und noch kürzer geantwortet:
    « Benigne. »
    Im Rückblick fand Harriet, daß ihr Oxfordbesuch eine beunruhigende Wirkung gezeigt hatte. Sie hatte angefangen, Wimseys Existenz in ihrem Leben als gegeben hinzunehmen, wie man Dynamit in einer Munitionsfabrik als gegeben hinnimmt. Aber daß die bloße Nennung seines Namens noch immer solche Reaktionen bei ihr auslösen konnte – daß Lob gleichwie Kritik an ihm aus andrer Leute Mund sie so maßlos ärgern konnte –, diese Entdeckung ließ sie dunkel ahnen, daß Dynamit eben doch Dynamit war, mochte die lange Gewöhnung es noch so harmlos aussehen lassen.
    Auf dem Kaminsims ihres Wohnzimmers lehnte ein Briefchen in Peters kleiner, schwer lesbarer Handschrift. Darin stand, er sei von Chefinspektor Parker gerufen worden, der mit einem Mordfall in Nordengland nicht weiterkomme. Er müsse ihre Verabredung für diese Woche darum leider absagen. Ob sie ihm den Gefallen tun und über die beiden Theaterkarten verfügen könne, für die er aus Zeitgründen keine anderweitige Verwendung habe?
    Harriet biß sich ob dieses vorsichtigen letzten Satzes auf die Lippen. Seit der einen schrecklichen Episode im ersten Jahr ihrer Bekanntschaft, als er es gewagt hatte, ihr ein Weihnachtsgeschenk zu schicken, das sie ihm in einem Anfall von verletztem Stolz mit einem bissigen Kommentar zurückgeschickt hatte, war er ängstlich darauf bedacht gewesen, ihr nie etwas anzubieten, was auch nur entfernt als materielle Zuwendung verstanden werden konnte. Wäre er irgendwann aus ihrem Leben verschwunden, so hätte sie nichts

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