Aufruhr in Oxford
Einleitung war neu geschrieben und die vernichteten Stellen aus dem geräumigen Gedächtnis der Autorin wiederhergestellt worden; die entstellten Seiten wurden durch neue Abzüge ersetzt; unzählige Fehler und Unklarheiten in den Querverweisen wurden eliminiert; die Erwiderung auf Mr. Elkbottom wurde in den Text selbst übernommen und stärker und schlüssiger formuliert; und die Verlagsleitung begann hoffnungsvoll von einem konkreten Erscheinungsdatum zu sprechen.
Ob nun Harriets nächtliche Patrouillen oder aber das bloße Wissen, daß der Kreis der Verdächtigten so sehr eingeengt war, die anonyme Briefschreiberin eingeschüchtert hatten, oder ob irgendein anderer Grund vorlag, jedenfalls gab es in den nächsten Tagen nur wenige Vorkommnisse. Ein etwas ärgerlicher Zwischenfall war die totale Verstopfung des Abflusses im Waschbecken des Dozentenzimmers. Als Ursache dafür wurden Fetzen irgendeines Textilmaterials erkannt, die mit Hilfe einer dünnen Stange gewaltsam durch das Abflußsieb gestoßen worden waren und sich, nachdem der Installateur sie herausgeholt hatte, als Überreste eines Paars Stoffhandschuhe entpuppten, mit brauner Farbe beschmutzt; die Eigentümerin war nicht zu ermitteln. Dann tauchte geräuschvoll der Bibliotheksschlüssel wieder auf, und zwar aus dem Inneren einer Rolle mit Fotografien, die Miss Pyke eine halbe Stunde lang in einem der Hörsäle hatte liegen lassen, um mit ihnen ein paar Bemerkungen über den Parthenonfries zu illustrieren. Keines dieser Ereignisse führte zu einer Entdeckung.
Die Professorinnen begegneten Harriet mit dem korrekten und unpersönlichen Respekt, den wissenschaftliche Tradition für eines Menschen Aufgabe forderte. Daß sie, einmal offiziell mit der Aufklärung betraut, auch ungestört ermitteln dürfen mußte, sahen sie ein. Auch lagen sie ihr nicht mit Unschuldsbeteuerungen oder Empörungsäußerungen in den Ohren. Sie akzeptierten die Situation mit Gelassenheit, sprachen wenig darüber und beschränkten ihre Unterhaltungen im Gemeinschaftsraum auf Themen von allgemeinem oder akademischem Interesse. Sie luden Harriet in protokollarischer Reihenfolge auf einen Sherry oder Kaffee zu sich ein und enthielten sich jeglichen Kommentars über ihre Kolleginnen. Miss Barton ließ es sich sogar angelegen sein, Harriets Meinung über Die Stellung der Frau im modernen Staat zu hören und sich nach den Verhältnissen in Deutschland zu erkundigen. Gewiß war sie mit einigen der gehörten Ansichten schlicht nicht einverstanden, aber sie äußerte ihren Widerspruch objektiv und ohne persönlichen Haß; das heikle Thema, ob ein Amateur das Recht habe, Verbrechen aufzuklären, wurde höflich ausgeklammert. Auch Miss Hillyard schob alle Animosität beiseite und erkundigte sich bei Harriet interessiert nach den technischen Aspekten historischer Verbrechen wie dem Mord an Sir Edmund Berry Godfrey und der angeblichen Vergiftung Sir Thomas Overburys durch die Gräfin von Essex. Solche Friedensangebote mochten zwar taktisch motiviert sein, Harriet aber neigte dazu, sie einem wohlbedachten Sinn für Schicklichkeit zuzuschreiben.
Mit Miss de Vine hatte sie viele interessante Unterhaltungen. Sie fühlte sich von der Persönlichkeit dieser Frau ebenso angezogen wie irritiert. Mehr als bei jeder anderen im Kollegium hatte sie bei ihr das Gefühl, ihre Hingabe an das Geistesleben sei weniger die Folge unbeschwerten Nachgebens gegenüber einer natürlichen oder erworbenen Veranlagung, sondern eine machtvolle Berufung, die alle anderen eventuellen Neigungen oder Wünsche überlagerte. Auch ohne gegebenen Anlaß hätte Miss de Vines Vergangenheit sie interessiert; aber sie auszufragen war schwierig, und aus ihren Gesprächen ging sie immer mit dem Gefühl hervor, selbst mehr gesagt als erfahren zu haben. Daß es da irgendwelche Konflikte gegeben haben mußte, fühlte sie wohl, aber es fiel ihr schwer zu glauben, daß Miss de Vine ihre eigenen Verdrängungen nicht kannte oder ihrer nicht Herr war.
Um ein gutes Verhältnis zu den Studentinnen herzustellen, raffte Harriet sich ferner auf, für die Literarische Gesellschaft des College einen Vortrag über «Verbrechensaufklärung in Literatur und Wirklichkeit» auszuarbeiten und zu halten. Das war eine heikle Sache. Auf den unglückseligen Fall, in dem sie selbst die Rolle der Tatverdächtigen gespielt hatte, ging sie nicht ein; auch war in der anschließenden Diskussion niemand so taktlos, ihn zu erwähnen. Der Mord von Wilvercombe war
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