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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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als ziemlich normal bezeichnen. Und Cattermole darf sich im Grunde auch nur bei sich selbst bedanken. Ich meine, sie fordert es heraus.»
    «Wie?» fragte Harriet.
    «Auf verschiedenerlei Art», sagte Miss Millbanks mit einer Vorsicht, in der anklang, daß Harriet auf zu vertrautem Fuß mit dem Dozentinnenkollegium stehe, als daß man ihr allzu genaue Details anvertrauen dürfe. «Sie neigt ein wenig dazu, gegen die Regeln zu verstoßen, einfach um des Verstoßes willen – was ganz in Ordnung ist, wenn es einem Spaß macht; aber es macht ihr keinen.»
    «Cattermole übertreibt es schon arg», sagte Miss Haydock.
    «Sie will diesem – wie heißt er noch? – Farringdon – zeigen, daß er nicht der einzige Kiesel am Strand ist. Schön und gut. Aber sie macht’s zu offensichtlich. Diesem Pomfret stellt sie ja förmlich nach.»
    «Diesem milchgesichtigen Tolpatsch vom Queen’s College?» fragte Miss Fowler. «Dann wird sie wieder Pech haben, denn den schleppt die Flaxman auch ständig ab.»
    «Zum Kuckuck mit Flaxman!» sagte Miss Haydock. «Kann sie denn anderer Leute Männer nicht in Ruhe lassen? Sie hat doch Farringdon schon an der Angel. Da finde ich, sie könnte Pomfret der Cattermole lassen.»
    «Sie kann einfach niemandem etwas lassen», stellte Miss Layton fest.
    «Ich will doch nicht hoffen», sagte Miss Millbanks, «daß sie auch versucht hat, dir deinen Geoffrey auszuspannen?»
    «Dazu bekommt sie keine Gelegenheit», antwortete Miss Layton mit koboldhaftem Grinsen. «Geoffrey ist treu – jawohl, meine Lieben, absolut treu – aber ich gehe kein Risiko ein. Als er das letzte Mal im Gemeinschaftsraum zum Tee bei uns war, kam die Flaxman auf einmal hereingeschlängelt – Entschuldigung, sie hatte ja keine Ahnung, daß jemand drin war, aber sie hatte ein Buch liegenlassen. Mit einem metergroßen BELEGT-Schild an der Tür. Ich habe ihr Geoffrey nicht vorgestellt.»
    «Wollte er vorgestellt werden?» fragte Miss Haydock.
    «Er hat gefragt, wer sie ist. Ich habe ihm gesagt, das ist unsere Templeton-Stipendiatin und Weltmeisterin im Streben. Das hat ihn gehörig abgeschreckt.»
    «Was macht denn dein Geoffrey, wenn du mit deinem Einser ankommst, mein Kind?» erkundigte sich Miss Haydock.
    «Na ja, Eve – das kann schon etwas heikel werden. Der Ärmste. Ich werde ihm klarmachen müssen, daß ich das nur geschafft habe, indem ich bei der mündlichen Prüfung so schüchtern und verängstigt dreingeschaut habe.»
    Und Miss Layton brachte es tatsächlich fertig, ganz schüchtern und verängstigt und alles andere als gelehrsam dreinzublicken. Nichtsdestoweniger erhielt Harriet von Miss Lydgate auf Anfrage die Auskunft, daß sie eine ausnehmend phantasiebegabte Anglistikstudentin war und ausgerechnet altenglische Philologie belegt hatte. Wenn Miss Layton sogar die trockene Materie der Philologie mit Leben erfüllen konnte, war sie in der Tat ein tiefes Wasser. Harriet empfand Hochachtung vor ihrem Intellekt; eine solche Persönlichkeit, von der man es gar nicht erwartet hätte, konnte zu allem fähig sein.
     
    Soweit die Ansichten des dritten Jahrgangs. Harriets erste persönliche Bekanntschaft mit dem zweiten Jahrgang verlief dramatischer.
     
    Im College war es in der letzten Woche so ruhig gewesen, daß Harriet sich vom Polizeidienst beurlaubte und zu einem Hausball ging, den eine frühere Kommilitonin von ihr gab, die geheiratet und sich im Norden Oxfords angesiedelt hatte. Als Harriet zwischen zwölf und eins zurückkam, stellte sie den Wagen in die Privatgarage der Dekanin, schloß leise das Gittertor auf, das den Lieferanteneingang vom übrigen College trennte, und ging über den Alten Hof auf den Tudor-Bau zu. Das Wetter hatte sich gebessert, und durch die Wolken drang ein Schimmer Mondlicht. Vor diesem Schimmer sah Harriet, als sie um die Ecke vom Burleigh-Bau bog, etwas merkwürdig Buckliges auf der östlichen Mauer, unweit des Privateingangs der Rektorin an der St. Cross Road. Es schien klar zu sein, daß da, mit den Worten eines alten Lieds, «ein Mann war, wo kein Mann sein sollte».
    Wenn sie ihn anrief, würde er sich auf der anderen Seite hinunterfallen lassen und über alle Berge sein. Sie hatte den Schlüssel dieses Seiteneingangs bei sich – man hatte ihr zu Kontrollzwecken sämtliche Schlüssel anvertraut. Harriet zog sich den schwarzen Abendumhang vors Gesicht und lief mit leisen Schritten rasch über den Graspfad zwischen dem Haus der Rektorin und dem Dozentengarten, trat lautlos auf die

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