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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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abtrug und sich eine Knochensammlung anlegte. Ihre Generation hat immer so fürchterliche Angst vor Krankheitskeimen und Schmutz. Wahrscheinlich hat sie ja recht damit, aber die Sprößlinge scheinen trotzdem keinen Schaden zu nehmen. Sein Vater hat ihm also eine Vitrine geschenkt, damit er die Knochen darin aufbewahren kann. Er bestärkt ihn noch darin, sagt Mutter. Ich glaube, nächstes Mal sollten wir Richard mitnehmen, aber dann würde Mutter sich solche Sorgen machen und immer nur an die fehlende Kanalisation denken und was er sich bei den Griechen alles holen könnte. Unsere Kinder scheinen sich alle als recht intelligent zu entwickeln, Gott sei Dank. Es wäre einfach fürchterlich, die Mutter von Schwachköpfen zu sein, aber dabei ist es doch reine Glücksache, nicht? Wenn man sie einfach erfinden könnte wie Romanfiguren, wäre das für wohlgeordnete Seelen viel befriedigender.»
    Von diesem Punkt ging die Unterhaltung ganz natürlich auf die Biologie, die Mendelsche Vererbungslehre und Schöne neue Welt über. Sie wurde unterbrochen, als aus einer Gruppe ehemaliger Studentinnen plötzlich Harriets frühere Tutorin auftauchte. Harriet und Phoebe eilten ihr wie auf Kommando zur Begrüßung entgegen. Miss Lydgate hatte noch genau dieselbe Art an sich wie früher. Den unschuldigen und ehrlichen Augen dieser großen Gelehrten schien sich nie ein moralisches Problem zu stellen. Selbst von untadeliger persönlicher Integrität, beurteilte sie die Irrungen anderer mit einer allumfassenden, rückhaltlosen Nächstenliebe. Wie es sich für Kenner der Literatur gehört, kannte auch sie natürlich alle Sünden dieser Welt mit Namen, aber ob sie eine davon erkannt hätte, wenn sie ihr im wirklichen Leben begegnet wäre, war sehr fraglich. Es war, als ob jede Missetat, begangen von einem Menschen, den sie kannte, bereits durch die persönliche Bekanntschaft entschärft und geläutert wäre. So viele junge Menschen waren schon durch ihre Hände gegangen, und sie hatte so viel Gutes in ihnen allen gefunden; es war ihr unmöglich, zu glauben, daß jemand absichtlich böse sein könnte wie Richard III. oder Jago. Unglücklich, ja; irregeleitet, ja; mit Schwierigkeiten und vielschichtigen Versuchungen konfrontiert, von denen Miss Lydgate selbst gnädig verschont geblieben war, ja. Wenn sie von einem Diebstahl hörte, einer Scheidung oder Schlimmerem gar, kräuselte sie besorgt die Stirn und überlegte, wie unvorstellbar schlecht es den Missetätern ergangen sein mußte, bevor sie so etwas Schreckliches taten. Nur einmal hatte Harriet sie mit uneingeschränkter Mißbilligung von jemandem reden hören, den sie kannte, und das war eine ehemalige Schülerin von ihr gewesen, die ein populäres Buch über Carlyle geschrieben hatte. «Überhaupt nichts recherchiert», hatte da Miss Lydgates Verdikt gelautet, «und nicht einmal der Versuch einer kritischen Beurteilung. Sie hat nur den ganzen alten Klatsch wieder aufgewärmt und sich gar nicht erst die Mühe gemacht, den Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Schlampig, auf Effekthascherei und schnell verdientes Geld angelegt. Ich schäme mich für sie.» Und selbst dann hatte sie noch hinzugefügt: «Aber ich glaube, die Ärmste hatte es sehr nötig.»
    Miss Lydgate machte nicht den Eindruck, als ob sie sich für Miss Vane schämte. Im Gegenteil, sie begrüßte sie aufs herzlichste, bat sie, am Sonntagmorgen zu ihr zu kommen, sprach anerkennend über ihre Arbeit und hob lobend hervor, daß sie sich selbst im Unterhaltungsroman eines gepflegten Englisch befleißigte.
    «Der ganze Lehrkörper hat viel Freude an Ihnen», fügte sie hinzu, «und ich glaube, Miss de Vine gehört auch zu Ihren großen Verehrerinnen.»
    «Miss de Vine?»
    «Ach ja, die kennen Sie natürlich nicht. Unsere neue Forschungsstipendiatin. Eine sehr reizende Person, und ich weiß auch, daß sie gern mit Ihnen über Ihre Bücher sprechen möchte. Sie müssen mitkommen und sie kennenlernen. Wir haben sie nämlich für drei Jahre hier. Das heißt, sie wird erst ab dem nächsten Trimester hier im College wohnen, aber sie hält sich schon seit ein paar Wochen in Oxford auf und arbeitet in der Bodleiana. Sie arbeitet an einem großen Werk über die Staatsfinanzen unter den Tudors und versteht darüber richtig interessant zu schreiben, sogar für Leute wie mich, die von Geld keine Ahnung haben. Wir sind alle so froh, daß sich das College entschieden hat, ihr das Jane-Barraclough-Stipendium zu geben, denn sie ist eine

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