Aufstand der Gerechten
Sein Motorrad parkt
davor.«
»Sagt der Name irgendjemandem was?«
Patterson schüttelte den Kopf. »Uns nicht. Ich habe mich mit Ihrem
Freund im Norden, Hendry, in Verbindung gesetzt, er soll nachsehen, ob die da
oben was haben. Demnächst spreche ich mit dem alten Paar, den Quigleys, mal
hören, was die zu sagen haben – vorausgesetzt, der alte Knabe kommt durch.«
»Ich würde sie auch gerne sprechen«, sagte ich.
Patterson nickte zustimmend, doch er hatte einen grimmigen Zug um
den Mund.
Zu meiner Unterhaltung mit den Quigleys kam es nicht mehr.
Der alte Mann, Sam Quigley, starb um vier Uhr an diesem Nachmittag.
Als ich von seinem Tod erfuhr, nahm ich die Kabel ab, mit denen ich
an die Monitore angeschlossen war, und schlurfte zum Aufzug. Auf der Etage, auf
der sich die Intensivstation befand, traf ich Nora Quigley, die mit hängenden
Schultern benommen am Ende des Korridors stand. Ihre Hände hingen schlaff
herab. Links von ihr lag ihr Mann reglos auf dem Bett in dem Zimmer, in dem er
seit seiner Aufnahme gelegen hatte. Sein Gesicht sah bereits eingefallen und
wächsern aus, sein Kiefer hing schlaff herab, der Mund stand offen. Ein weißes
Krankenhausbetttuch bedeckte ihn bis zur Brust.
»Es tut mir furchtbar leid, Mrs Quigley«, sagte ich und ging mit
ausgestreckter Hand auf sie zu.
Sie sah mich an, die Augen glasig vor Tränen, die schlaffe Haut an
ihrem Kinn bebte sichtlich. Sie ignorierte meine ausgestreckte Hand, trat zu
mir und ließ sich von mir in die Arme schließen.
Ihre Umarmung war federleicht, die Knochen an ihrem Rücken fühlten
sich zerbrechlich und spitz an unter dem Stoff ihrer Strickjacke. Der Geruch
von Körperpuder und Rosenwasser stieg mir in die Nase. Dann löste sie sich
wieder von mir und nahm unbeholfen meine Hand. Ihre Haut war mit Leberflecken
übersät.
»Es tut mir so leid«, sagte ich erneut.
Die Gesichtszüge vom Verlust gezeichnet, sah die alte Frau zu mir
hoch.
»Ich habe mein Bestes gegeben«, hörte ich mich sagen. »Ich habe
versucht …«
Nora Quigley bedeutete mir, still zu sein, und tätschelte mir sanft
den Arm, als wäre ich derjenige, der um einen Angehörigen trauerte, nicht sie.
»Ich habe mein Bestes gegeben«, wiederholte ich.
Entgegen dem Rat des Arztes entließ ich mich an diesem
Abend selbst aus dem Krankenhaus. Debbie und die Kinder holten mich ab. Shane
war außer sich vor Freude, als er mich sah, und sprang an mir hoch, damit ich
ihn auf den Arm nahm, obwohl Debbie einwandte, dass das meinem Rücken schaden
würde. Auf dem Weg zum Auto umklammerte er meine Hand, sodass unsere Finger
miteinander verschränkt waren, und lächelte zu mir hoch.
Meine Tochter Penny war ein wenig zurückhaltender. Auf der Heimfahrt
sah ich in den Schminkspiegel und stellte fest, dass sie mich beobachtete. Ihr
Blick wanderte über mein Spiegelbild, während sie auf einem Stückchen Haut an
ihrem Daumen kaute. In den letzten ein, zwei Jahren war sie in die Höhe
geschossen, ihr Gesicht wurde schmaler, ihr Haar länger. Als sie merkte, dass
ich sie ansah, lächelte sie, doch das Lächeln erreichte nicht ihre Augen, in
denen eine Spur Melancholie lag.
In diesem Augenblick begriff ich, dass meine Tochter älter wurde,
und ich spürte, dass sie das Gleiche an mir bemerkte. Das versetzte mir einen
Stich. Keiner von uns wirkte glücklich über diese Erkenntnis.
»Was ist los?«, fragte Debbie. Mit der freien Hand tätschelte sie
mir beim Fahren das Knie und warf mir einen verstohlenen Blick zu.
»Ich werde grau«, sagte ich.
Nochmals sah sie rasch zu mir herüber und hob die Augenbrauen.
»Vielleicht solltest du es dann ein bisschen ruhiger angehen
lassen«, erwiderte sie. »Fang gleich heute damit an. Leg dich ins Bett, sobald
wir zu Hause sind.«
Ich sah wieder zu Penny, doch nun schaute sie aus dem Fenster. Ihr
Spiegelbild hob sich gespenstisch vor der Dunkelheit draußen ab.
3
Samstag,
3. Februar
Auch am nächsten Morgen konnte ich die beiden Tode nicht
so einfach abschütteln. Ich verbrachte den Vormittag mit Debbie und den
Kindern, doch Debbie spürte, dass mich etwas beschäftigte, und wir tasteten uns
durch zunehmend befangene Unterhaltungen, während ich mit meinen Schuldgefühlen
kämpfte, weil ich keinen der beiden Männer hatte retten können.
Ich saß mit einem Becher Tee im hinteren Zimmer am Fenster und sah
hinaus auf den Kirschbaum am oberen Ende unseres Gartens, dessen kahle Zweige
im leichten Wind wippten. Debbie kam herein und stellte sich
Weitere Kostenlose Bücher