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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Dutzend Matrosen hätten mich zusammengeschlagen und ausgeraubt. Sie fuhren mich in die Ambulanz, wo sich ein Arzt und eine Schwester meinen Fall vornahmen. »Das wird jetzt ziemlich weh tun«, sagte der Doktor und fing an, mit seiner Nähnadel an mir zu fummeln. Ich war so voll, daß ich überhaupt nichts merkte. Als sie mir einen Verband um den Schädel wickelten, langte ich der Schwester ans Bein und drückte ihr ein bißchen das Knie. Es fühlte sich gut an.
»He! Zum Donnerwetter, was ist denn in Sie gefahren!« »Nix. Sollte nur 'n Scherz sein«, sagte ich.
»Sollen wir diese Type einbuchten?« fragte einer der Bullen. »Nein, schafft ihn nach Hause. Er hat eine wüste Nacht hinter sich.«
Die Bullen chauffierten mich heim. Exzellenter Service. In Los Angeles wäre ich glatt in einer Zelle gelandet. Auf meiner Bude leerte ich erst noch eine Flasche Wein, dann haute ich mich hin.
Am nächsten Morgen war ich um halb sechs nicht da, als Jim die alte Bar aufmachte. Das kam schon hin und wieder mal vor. Ich blieb manchmal den ganzen Tag im Bett. Gegen zwei Uhr mittags hörte ich ein paar Weiber vor meinem Fenster tratschen. »Ich weiß nicht«, sagte die eine. »Dieser neue Mie ter ... manchmal bleibt er den ganzen Tag in seinem Zimmer . . . zieht nicht mal die Rollos hoch . . . hört andauernd Radio . . . Das is t alles, was er den ganzen Tag macht.« »Ich kenn ihn«, sagte die andere. »Die meiste Zeit besoffen. Was für ein schrecklicher Mensch.«
»Ich glaub, ich muß ihm sagen, daß er ausziehen soll.« Ah shit, dachte ich. Ah shit shit shit shit SHIT .
Ich stellte den Stravinsky ab, zog meine Klamotten an und ging runter zur Bar.
»Hey, da kommt er!!«
»Wir ham gedacht, du bist am Arsch!«
»Bist du in die Gangster-Bar reingegangen?«
»Yeah.«
»Na erzähl doch!«
»Erst brauch ich 'n Drink.«
»Klar, hier . . .«
Ein Scotch & water wurde aufgefahren. Ich setzte mich auf meinen Stammplatz. Das dreckige Sonnenlicht arbeitete sich langsam durch den Raum. Mein Arbeitstag hatte begonnen. »Das Gerücht«, begann ich, »daß es sich um einen ruppigen Laden handelt, entspricht absolut der Wahrh eit. . .« Und dann erzählte ich ihnen in groben Zügen, was vorgefallen war. Der Rest der Story ist, daß ich mir zwei Monate lang nicht die Haare kämmen konnte, noch ein- oder zweimal in die Gangster-Bar ging, zuvorkommend behandelt wurde, Philadelphia wenig später verließ und nach neuen Schwulitäten Ausschau hielt. Trouble fand ich jede Menge, aber das, wo nach ich sonst noch suchte, hab ich bis heute nicht gefunden. Vielleicht finden wir das, wenn wir sterben. Vielleicht nicht mal dann. Ihr könnt ja in euren philosophischen Wälzern nachschlagen. Und im übrigen: macht einen Bogen um Lokale, bei denen das Männerklo im Keller ist.
    Der Tod von Henrys Mutter machte keine Komplikationen. Nettes katholisches Begräbnis, wie es sich gehörte. Der Sarg blieb zu. Der Priester schwenkte ein paarmal sein Rauchfaß, und damit hatte es sich. Henry ging von der Beerdigung aus direkt zum Rennplatz, erwischte einen guten Lauf und bandelte schließlich mit einer Chinesin an, die ihn mit auf ihr Zimmer nahm. Sie machte Steaks, und dann stiegen sie ins Bett.
Als sein Vater starb, ging es nicht so einfach ab. Der Sarg blieb offen, und die Geliebte seines Alten — er sah sie zum erstenmal, eine gewisse Shirley — diese Shirley also warf sich über den Sarg und heulte und zeterte und hievte den Oberkörper des Toten halb aus dem Sarg und bedeckte sein Ge sicht mit Küssen. Man mußte sie mit Gewalt entfernen. Und als Henry wenig später die Treppe herunterkam, warf sie sich ihm in der Halle um den Hals und küßte ihn. »Oh, du siehst genauso aus wie dein Vater!« Während sie ihn küßte, wurde er ziemlich scharf, und als es ihm schließlich gelang, sie wegzustoßen, kam vorne auf seiner Hose ein feuchter Fleck durch. Er hoffte, daß die Trauergäste nichts merkten. In Gedanken machte er sich in Sachen Shirley einen Knoten ins Taschentuch. Sie war nicht viel älter als er.
Von der Beerdigung aus ging er auf den Rennplatz, aber es war keine Chinesin aufzutreiben, und außerdem verlor er einige Einsätze. Der Alte hatte wohl doch sein Stigma auf ihm gelassen.
Laut Notariat gab es kein Testament. Es gab auch kein Geld, nur ein Haus und einen Wagen. Henry und seine alte Freundin Maggy nahmen beides sofort in Beschlag. Um die Mittagszeit pflegte er aufzustehen und den Rasen unter Wasser zu setzen. Und die Blumen. Der Alte war ein

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