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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Papyrus
    Niemand wird mir glauben, was ich zu berichten habe.
    Und doch ist jedes meiner Worte wahr, dafür verbürge ich mich beim Leben des Ungeborenen, dessen Ankunft wir alle kaum noch erwarten können. Denn niemand anderer als die Mondäugige, die seit Anbeginn der Zeiten unsere Geschicke bestimmt, führt meine Hand, die die Binse über den Papyrus gleiten lässt.
    Ein anstrengendes Geschäft, wie ich einräumen muss, und ein ungewohntes dazu, weil ich ja eigentlich keine Schreiberin bin, sondern eine Frau, die stets Märchen und Geschichten erzählt hat. Aber schließlich banne ich das, was geschehen ist, nicht meinetwegen auf Papyrus, sondern zeichne es auf für das Kind, das bald zur Welt kommen wird. Ein Mädchen, da bin ich mir ganz sicher, denn sie hat es mir in einem Traum verraten, ein quirliges kleines Ding mit Ashas Himmelsaugen und dem energischen Kinn meines Neffen Ameni.
    Ohnehin wäre es sinnlos, sich gegen sie wehren zu wollen. Sie lässt dir keine Ruhe und bringt dich mit sanfter Gewalt dazu, schließlich doch zu gehorchen. Also beuge auch ich mich ihrem Willen, und ich tue es gerne, denn sie hat mich gelehrt, dass nur das geschieht, was sie für uns vorgesehen hat. So viele Namen sie besitzt und noch mehr Gesichter, mir ist sie in ihrer Lieblingsgestalt erschienen: nicht als löwenköpfige Bestie, die Feuer speien und alles Leben mit einem einzigen Prankenhieb zerschmettern kann, sondern als getigerte Samtpfote in einer warmen Mondnacht, die mein Dasein von Grund auf verändern sollte.
    Mau fand sich tatsächlich in einem der Käfige, abgemagert bis auf die Knochen, doch sie hat sich rasch wieder erholt. Jetzt scheint sie das Haus kaum noch verlassen zu wollen, geht nur noch nach draußen, um ihr Geschäft zu verrichten, und kehrt dann so schnell wie möglich zu Scheri und ihrer Familie zurück.
    Ich habe meine kleine Bastet wiedergefunden, doch ich musste sehr geduldig sein. Eigentlich hatte ich die Hoffnung längst aufgegeben, sie jemals wiederzusehen. Ständig war ich nachts im Garten und habe nach ihr gerufen - leider vergeblich. Jedes Mal war mein Herz aufs Neue schwarz vor Trauer. Sie hat mir so sehr gefehlt, dass ich manchmal sogar an eine neue Katze dachte, doch ich wusste stets, dass keine andere je ihren Platz einnehmen könnte.
    Plötzlich war sie wieder da. Ein zartes Gurren, ein federleichtes Gewicht auf meiner Brust. Grüne, schwarz umrandete Augen, die mich so eindringlich ansahen, als suchten sie die Wahrheit der ganzen Welt.
    Seitdem hat sich alles für mich verändert: Der Himmel ist weiter und strahlender geworden, das Silber der nächtlichen Mondbarke leuchtender. Sogar der Wind aus dem Delta schmeckt nicht mehr salzig, sondern birgt in sich die Verheißung der schneebedeckten Berghöhen von Numis ferner Heimat, die ich eines Tages vielleicht selber sehen werde.
    Chai ist noch immer bei mir, doch ich gehe seltener zu seinem Grab, und manchmal glaube ich sogar, dass er Verständnis dafür aufbringt. Er hat nun seinen eigenen, unvergänglichen Garten, zu dem kein anderer Zugang hat - und seine Erinnerungen.
    Es ist nicht einfach geworden mit Tama und Rahotep, aber doch einfacher. Nach und nach scheinen sie zu begreifen, dass fremd nicht gleichzeitig feindselig bedeuten muss, Tama braucht dazu eine Spur länger als Tep, der erstaunliche Fortschritte macht. Numi hat ihm eine Art geschäftliche Kooperation vorgeschlagen. Deren größter Nutznießer ist Ameni, der darauf brennt, endlich Familienvater zu werden.
    Es hat keinen Aufstand in Per-Bastet gegeben, weshalb wir noch alle unter der Herrschaft Aryandes’ ächzen, die trotz seiner Hilfe in jener Schicksalsnacht schwerer auf uns lastet denn je. Chonsu und Menna wurden ihrer Ämter enthoben und in Schimpf und Schande aus dem Tempel gejagt; der Erstere sieht seiner baldigen Bestrafung entgegen, der zweite, noch weitaus schlimmere Übeltäter, der sich sogar seines Komplizen entledigen wollte, ist spurlos verschwunden. Es wäre kein Wunder, wenn eines Tages sein aufgeschwemmter Leichnam im Fluss gefunden würde.
    Senmut versieht weiterhin sein Amt als Erster Sehender, doch er scheint äußerlich wie innerlich gewandelt. Keine Spur mehr von der kalten Glätte, die ihn stets von den Menschen entfernt hatte; er hat einen kleinen Bauch bekommen, wirkt nun wärmer, einfühlsamer. Nicht mehr von seiner Seite weicht seine neue Favoritin, keine Alabasterschönheit, wie die Weiße es war, sondern ein struppiges, getigertes Geschöpf, das

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