Auge des Mondes
und Asha sahen zu, wie Iset die übel riechenden Stofffetzen von seinem Arm löste. Der Gestank, der der Wunde entströmte, ließ sie zurückweichen.
»Es sieht schlimm aus«, sagte die alte Amme. »Viel schlimmer als beim letzten Mal. Beinahe, als hätte ihn wirklich eine Löwin attackiert.«
»Vielleicht war es ja eine.« Vor Minas Augen entstand das Bild der anmutigen Weißen, die in höchster Todesangst ihre Krallen ausfuhr. »Kannst du ihm helfen?«
»Wenn es noch nicht zu spät dafür ist - vielleicht.«
Alle sahen Iset schweigend dabei zu, wie sie die Wunde säuberte, mit einer gelblichen Flüssigkeit beträufelte und schließlich mit schmalen grünen Blättern belegte. Saubere Leinenstreifen bildeten den Verband.
»Was ist das?«, flüsterte Asha.
»Myrrhe und Eisenkraut«, sagte Iset, ohne aufzusehen. »Wenn selbst die nicht mehr helfen, dann kann es nur noch die Große Göttin tun.«
»Ist er jetzt versorgt?«, wollte Mina wissen.
»Beinahe.« Isets Tonfall wurde scharf. »Trink!«, befahl sie und hielt ihm einen Becher an die Lippen. »Ja, ich weiß, es ist gallenbitter«, sagte sie, als Huy angewidert den Kopf abwenden wollte. »Beinahe wie der Tod. Aber das muss so sein. Trink gefälligst, wenn du leben willst!«
Er gehorchte schwer atmend. Nach einer Weile kam etwas Farbe in sein Gesicht zurück. Mina starrte auf seinen wilden schwarzen Bart, die fremdländische Kleidung und die Stiefel.
»Und jetzt rede!«, sagte sie. »Was hat das alles zu bedeuten? Weshalb trägst du eine persische Uniform?«
»Ich will ja alles sagen - alles!« Huys magere Brust hob und senkte sich schnell, so sehr strengte das Sprechen ihn an. »Es sollte von Anfang an so aussehen, als hätten sie es getan, versteht ihr? Die Katzen gefangen, in Verstecken gehalten und schließlich ins Feuer geworfen.«
»Katzen ins Feuer geworfen?«, rief Asha, die leichenblass bei seinen Worten geworden war. »Was sind das für Ungeheuerlichkeiten?«
»Lass ihn!«, sagte Mina. »Du wirst gleich mehr verstehen.« Sie wandte sich wieder an Huy. »Es sollte also aussehen, als hätten Perser sich all das ausgedacht, aber in Wirklichkeit waren es gar keine Perser. Ist es das, was du sagen willst?«
»Ja. Wir sind alle Burschen aus Per-Bastet. Sie haben uns gut bezahlt für das, was wir tun sollten, sehr gut sogar, mit jeder Menge Sonderzuteilungen. Aber keiner von uns konnte sich vorstellen, wie schwer es schon bald sein würde …«
»Von wem kamen die Deben?«, fragte Mina. »Und die Extrarationen?«
»Ich hab immer mit einem kleinen, dürren Mann zu tun gehabt, er hat die Befehle erteilt. Lange wusste ich nicht, wer er war, aber jetzt weiß ich es: Er heißt Chonsu.«
Mina verschlug es die Sprache. Der Dritte Sehende, der sein Amt erst erlangt hatte, nachdem sein Vorgänger auf mysteriöse Art ums Leben gekommen war. Plötzlich begriff sie, warum Chai die Papyri zu Hause versteckt hatte und was Senmut mit den Hinterziehungen im Tempel meinte.
»Was ist mit der Weißen?«, fragte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte. »Die Weiße mit den goldenen Augen?«
Huy begann zu weinen. »Ich hab sie getötet«, flüsterte er. »Auf Befehl dieses Chonsu, aber ich wusste, es war trotzdem falsch. Wie sie mich angesehen hat! Sie wusste genau, was ich vorhatte. Jetzt muss ich für meine Tat büßen.«
» Du hast sie getötet?«, rief Asha. » Du warst das - und mein armer Vater soll dafür mit dem Tod bestraft werden?« Sie wollte sich auf ihn stürzen, doch Ameni packte sie und hielt sie fest.
Ein lautes Poltern an der Türe ließ alle zusammenfahren.
»Jetzt kommen sie!«, flüsterte Huy. »Sie haben erfahren, dass ich hier bin. Jetzt holen sie mich …«
Mina hatte die Tür geöffnet. »Du?«, sagte sie, als Rahotep vor ihr stand. Das verlegene Lächeln auf seinem Gesicht erstarb jäh.
»Ich will zu meinem …« Er hielt inne. Sein Blick flog über Ameni, der ein junges Mädchen an den Gelenken gepackt hatte, über Isets Tinkturen, die eitrigen, schmutzigen Stofffetzen und schließlich über den bärtigen Fremden, der in persischer Uniform auf dem Boden lag und röchelte.
»Was ist denn hier los?«, war alles, was er hervorbrachte.
Es war Mina, die alles knapp für ihn zusammenfasste, und je weiter sie kam, desto niedergeschlagener wirkte Rahotep. Als sie Huys Geständnis wiederholte, er und kein anderer habe die Weiße getötet, schlug er die Hände vors Gesicht.
»Wie hätte ich das wissen sollen!«, rief er. »Ich war
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