Auge um Auge
spurlos. Als Dillon zu Besuch ins Rosedene kam, saß Ferguson an Hannahs Bett, den linken Arm in einer Schlinge.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Dillon.
»Mir ist es schon mal besser gegangen.«
Dillon wandte sich Hannah zu. »Und dir?«
»Ich werd’s überstehen. General Ferguson hat mich ins Bild gesetzt. Du hast Bell also umgelegt?«
»Das klingt missbilligend. Um Himmels willen, er hat versucht, uns umzubringen.« Dillon lächelte. »Ach ja, jetzt hab ich’s. Du bist gegen die Todesstrafe.«
»Rutsch mir den Buckel runter, Dillon. Der General sagt, du hättest Rashid mitgeteilt, dass du morgen zur Bestattung seiner Brüder kommst.«
»So? Du hast mir doch erzählt, er würde mir entgegentreten. Da hab ich mir gedacht, ich komme ihm zuvor.«
»Du Idiot! Ich habe dir gesagt, dass er verrückt ist. Jetzt wird er alles tun, um dich zu erledigen.«
»Und wie ich dir schon oft gesagt hab, Hannah, ich bin vermutlich auch verrückt.«
»Ich finde wirklich nicht, dass sie es tun sollten, Dillon«, sagte Ferguson. »Genauer gesagt, das ist ein Befehl.«
»Und wenn ich nein sage«, erwiderte Dillon, »was tun Sie dann? Lassen Sie mich in Wandsworth in den Bau sperren?«
»Das könnte ich. Aus Ihrer Vergangenheit haben Sie genug auf dem Kerbholz.«
»Tatsächlich? Als Sie mich in Serbien aus dem Bau geholt und
durch blanke Erpressung dazu gezwungen haben, Ihr Vollstrecker zu werden, war der zentrale Punkt der Abmachung der, dass unter meine IRA-Taten ein Schlussstrich gezogen wird. Jetzt erklären Sie mir rundheraus das Gegenteil. Wenn Sie das ernst meinen, kann ich dazu nur sagen: Billy Salter ist zwar ein Gangster, aber von Moral versteht er mehr als Sie.« Er beugte sich vor und gab Hannah einen Kuss auf die Wange. »Alles Gute, Mädchen, und pass auf dich auf. Rashid will mich zwar umbringen, aber das hat die britische Armee auch lange genug versucht, und ich bin immer noch am Leben.« Er nickte Ferguson zu. »Sie wissen, wo Sie mich abholen lassen können, wenn Sie das wirklich vorhaben. Sonst fahre ich morgen nach Dauncey zu der Beerdigung. Rashid bekommt seine Chance.«
Er drehte sich um und ging hinaus.
»Lassen Sie ihn tatsächlich einsperren, Sir?«, fragte Hannah.
»Natürlich nicht.« Ferguson seufzte. »Ich wollte bloß schauen, ob ich ihn durch einen Bluff von seinem Plan abbringen kann. In den vergangenen acht oder neun Jahren ist er mir doch ziemlich ans Herz gewachsen. Ihnen auch, habe ich den Eindruck.«
»Durchaus, Sir, aber es wäre nett, wenn Sie mir versprechen könnten, ihm das nicht zu verraten.«
»Selbstverständlich, meine Liebe. Und da ich mich absolut miserabel fühle, gehe ich jetzt wohl lieber nach Hause.«
Es war um die Mittagszeit, als Paul und Kate Rashid das Dauncey Arms betraten. Betty Moody stand hinter der Theke; die üblichen Gäste aus dem Ort waren ebenfalls da. Alle erhoben sich.
»Nein, Freunde, setzt euch wieder«, sagte Rashid. »Gib allen einen aus, Betty, aber ich bin hungrig wie ein Wolf. Mach mir irgendwas zu essen.«
In ihren Augen standen Tränen. Sie hob die Hand und berührte sein Gesicht. »Ach, Paul«, sagte sie, und da brach auch Kate in Tränen aus. Betty ergriff ihre Hand und hob die Klappe an der Theke. »Hör auf zu heulen, Mädchen. Das sage ich dir schon, seit du denken kannst. Komm und mach dich in der Küche nützlich.«
Später, als die beiden gegessen hatten, öffnete Betty eine Flasche Champagner für sie, und sie setzten sich ans Kaminfeuer.
»Morgen«, sagte Kate zögernd. »Die Bestattung. Du hast nicht viel gesagt.«
»Die Trauerfeier in der Kirche ist um halb zwölf. Diesmal beschränken wir die Zahl der Einladungen, Betty. Keine öffentliche Trauerfeier wie das letzte Mal. Die Leute aus dem Dorf sind aber willkommen. Du könntest uns hier im Pub ein Büfett anrichten. Aber wir wollen keine Umstände. Nach der Bestattung will ich noch nicht mal Personal im Haus haben.«
»Ganz wie du willst, Paul, überlass es nur mir.«
Sie ging davon. »Wird er kommen?«, fragte Kate.
»O ja, er wird kommen«, entgegnete ihr Bruder. »In meinem ganzen Leben war ich mir noch nie so sicher.«
Dillon besuchte Harry im Rosedene und fand ihn im Bett sitzend vor, von Kissen gestützt. Dora, der Inbegriff der Bardame, hatte sich in eine Krankenschwester verwandelt und kümmerte sich um ihn.
»Pass bloß auf«, warnte Dillon sie. »Wenn du weiterhin so gute Arbeit leistest,
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