Auge um Auge
aus meiner Clique eins auszuwischen.«
Vielleicht solltest du nicht solche Arschlöcher als Freunde haben , liegt mir schon auf der Zunge, aber ich schlucke den Kommentar hinunter und versuche es mit Diplomatie. »Sicher«, sage ich und nicke, »du hast am meisten zu verlieren. Das ist mir auch klar. Also kümmern wir uns als Erstes um Alex.« Ich zeige Richtung Wasser. »Mein Boot liegt da unten. Wir sollten nicht hier im Freien Pläne machen.«
Spontan sagt Lillia: »Kommt nicht in Frage, Kat.«
»Kannst du immer noch nicht schwimmen, Lil?«, necke ich sie.
Lillia wird rot. »Ich sehe bloß nicht, wozu das gut sein soll.«
»Es ist einfach sicherer auf dem Wasser«, erkläre ich ihr. »Dann kann uns nicht zufällig jemand hören.«
Sie rollt mit den Augen und beschreibt mit dem Arm einen Halbkreis. »Wer soll uns denn hier hören?«
Lillia Cho – immer noch glaubt sie, alles besser zu wissen! »Hier kommen viele reiche alte Männer mit ihren Geliebten her. Außerdem gibt’s Security. Und Polizei. Ich meine, wenn du riskieren willst, festgenommen zu werden, ich –«
»Dann hättest du vielleicht einen besseren Ort aussuchen sollen«, knurrt Lillia zurück.
»Lasst uns doch einfach zum Boot gehen«, schlägt Mary vor. »Ich meine, wo wir schon mal hier sind.«
»Na gut«, stöhnt Lillia.
Ich gehe voran zum Hafenbecken, den Mond im Rücken. Mary ist neben mir, Lillia folgt mit einigen Schritten Abstand.
Auf dem Weg zum Boot rasen meine Gedanken. Welche Möglichkeiten gibt es, die Sache in Angriff zu nehmen, wie fangen wir am besten an? Ein paar Gedanken habe ich mir schon gemacht, für den Fall, dass Lillia tatsächlich heute auftauchen sollte. Aber jetzt ist Mary mit von der Partie, also muss ich ein paar Änderungen vornehmen. Im Moment weiß ich nur, dass ich vorbereitet wirken muss, Lillias wegen, um sie zu beruhigen. Sie ist verängstigt wie ein Kätzchen bei Gewitter. Das kleinste Problem, und sie ist auf und davon.
Als Mary auf die aufgemotzten Yachten zeigt und wissen will, ob mir eine von denen gehört, bekomme ich ihre Frage kaum mit. Erst als sie sie wiederholt, schüttle ich den Kopf. »Eher nicht.«
Weil ich im Club arbeite, darf mein Boot kostenlos hier liegen, aber natürlich nicht zwischen den teuren Yachten. Meins ist hinten bei den Benzinpumpen vertäut, an einem älteren Teil des Hafens, wo mein Chef seine Schrottboote liegen hat, die er billig aufkauft, um sie wegen der Ersatzteile auszuschlachten.
»Seid vorsichtig«, warne ich die anderen. »Die Planken an diesem Teil sind halb verrottet, und aus den Ritzen ragen jede Menge rostiger Nägel raus. Ich glaube, ich habe immer noch einen Splitter in der Ferse. Irgendein Idiot ist viel zu schnell mit seiner Yacht hier reingerast, und die Riesenwelle, die er dabei gemacht hat, hat mich glatt von meinem Boot gehauen.«
»Das ist ja dreist«, sagt Mary.
Ich nicke. »Und entschuldigt hat er sich auch nicht. Reiche Leute haben das nicht nötig.«
Lillia guckt genervt, sagt aber nichts.
Ich nehme die Plane von meinem Daysailor Marke Catalina, falte sie zusammen und lege sie in den Staukasten. Es ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt mit dem Boot draußen war, vielleicht im Juni. Schon verrückt, aber Alex und ich waren immer auf seinem Boot, weil es da einen Kühlschrank gibt, um Getränke zu kühlen, außerdem mit schwarzem Leder bezogene Schalensitze, die sich nach hinten kippen lassen, und eine erstklassige Stereoanlage. Aus irgendeinem seltsamen Grund habe ich ein schlechtes Gewissen. Weil ich diesen Sommer einfach vergessen habe, wer ich war, bevor ich ihn traf, welche Sachen mir früher Spaß gemacht hatten – an meinem Boot herumzuwerkeln, mit meinen wahren Freunden abzuhängen. Nie hätte ich geglaubt, dass ich mal eins von diesen Mädchen werden könnte, die für einen Jungen alles, was ihnen vorher wichtig war, aufgeben. Schon gar nicht für so einen Möchtegern-Playboy wie Alex, der gleich zwei Eisen im Feuer hat.
»Steigt ein«, sage ich und schließe mein Flutlicht an die Batterie an. Sofort durchdringt ein leuchtender Strahl die Nacht und beleuchtet die Kronen der Wellen. Perfekt.
Lillia macht einen Schritt an Bord und erstarrt, als das Boot leicht schwankt. Wie ein erschrockenes Kaninchen hüpft sie sofort wieder zurück und stößt dabei fast mit Mary zusammen, die auch nervös aussieht. Trotzig verschränkt Lillia die Arme und sagt: »Lass uns hier draußen reden.«
Ich muss lachen. »Du liebe Zeit, Lil – ich
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