Augen der Nacht (Dunkelmond Saga) (German Edition)
ihr die Wahrheit zu sagen.
„ Beeil dich
Martha.
Ich will
sie in wenigen Augenblicken
unten im Saal sehen.“ Dabei zupfte er seine Ärmel zu Recht
und wand sich zur Tür.
Vell
überkam ein
Gefühl der
Beklemmung,
Schmerz und Enttäuschung.
Nicht
mal jetzt
ehrlich sein, jetzt da sein Leben zu Ende ging.
aber auch
konnte er
„Und sei höflich“, mahnte Martha, „ und niemals vorlaut.“
„Ich kenne meine Rolle“, versicherte Vell , „du hältst sie mir ja
jeden Tag vor.“
„Und achte auf dein Kleid! Die Herrschaften werden dich
genau beobachten.“
„Sollen sie doch, ich werde sie ohnehin nie wieder sehen.“
„Das kann man nie wissen“, gab die Dicke zu bedenken, „ und
wehe du machst mir Schande.“ Mit letzten Griffen zupfte sie
ihr die Frisur zu Recht und schnürte ihr nochmals das
Mieder.
„ Das reicht jetzt. Lass mich.“
„Warte!“, rief Martha, „ deine Schuhe!“
„Ich kann laufen und jetzt hör endlich auf dir Sorgen zu
machen!“
Sie ließ ihre Amme stehen und schlüpfte hinaus in den Flur.
Schon von der Treppe hörte sie Stimmen und mit jeder
Stufe wurde die Streichmusik lauter. Ihr Großonkel hatte
scheinbar
an
alles
gedacht,
sogar
an
das
rührende
Abschiedskonzert. Im Parterre angekommen, sah sie Diener
mit Silbertabletts. Sie transportierten Pfirsichküchlein
in
drei verschiedenen
Sorten.
Leichenschmaus, dachte Vell
und stopfte sich zwei davon in den Mund. Vielleicht würden
sie das flaue Gefühl in ihrem Magen bekämpfen und dafür
sorgen, dass sie alles besser ertrug. Heute brannten sogar
die Wandlüster und erhellten den langen Gang Richtung
Saal. Dort hingen auch die Ölgesichter ihrer Ahnen und
verfolgten sie mit emotionslosem Blick. Es gehörte wohl zur
Familientradition, unglückliche Leben zu führen und Tante
Petsi wollte vermutlich nur aussteigen.
Ein schräges Lachen schallte durch den Flur. Vell sah eine
beleibte Frau, die sich zu ihr umdrehte. Statt Haaren, trug
sie eine weiße Perücke. Ihr Gesicht entblößte ein schales
Lächeln. „ Guten Abend“, begrüßte sie das Mädchen.
Vell nickte höflich
„ Guten Abend.“ Sie schob sich an der Dame vorbei und
betrat den Saal.
Aber wo war sie nur gelandet?
Die Herrschaften
waren
bepudert,
frisiert
und trugen
ausgefallene
Roben
mit
breiten
Krägen.
Mit
ihren
Federfächern
kämpften
die
Damen
gegen
die
Hitze,
während die Männer gemeinsam Pfeife rauchten. So viele
fremde Gesichter. So viele verkleidete Menschen. Seit jeher
kannte sie dieses Schloss nur als einen einsamen Ort. Doch
nun war ihr, als hätte sie es noch nie zuvor gesehen
„ Da ist sie ja!“, trällerte eine Stimme. Eine beleibte Frau kam
ihr entgegen und in ihrem Windschatten folgte eine Dame
mit Pferdegesicht.
„ Du musst Velura sein“, sprach die Dicke entzückt, „was für
ein hübsches Mädchen.“
„Und so jung!“ , fand das Pferd, „ wie alt bist du mein Kind?“
„Sechzehn“, erwiderte Vell , „ich habe im Winter Geburtstag.“
„Wer ist die Kleine?“, unterbrach jemand. Eine
alte Frau watschelnd auf Velura zu. In ihrer Hand hielt sie
ein silbernes Monokel, das sie nun neugierig vor ihr rechtes
Auge schob.
„ Das ist Velura“, erklärte die Dicke, „ die Großnichte von
Arthur!“
„ So, so“, faselte die Alte und kam so nah, dass Vell ihren
schlechten
Atem riechen
konnte.
betrachtete sie eindringlich
und
hatten sich betroffen gestürzt.
„ Wie alt bist du mein Kind?“
Ihr riesiges
Glasauge
ihre
schmalen
Lippen
„Sechzehn“, wiederholte Vell, „ immer noch.“
„ Und spielst du ein Instrument?“
„Nein, ich wohne bloß hier.“
„Was hat sie gesagt?“, fragte die Alte.
„ Dass sie nicht spielen kann“, erklärte die Dicke.
„ Sie kann nicht spielen! Wieso nicht?“
„ Na, weil ich…“, Doch weiter konnte Velura nicht sprechen.
Der Syrer trat nun in ihre Runde, worauf die Damen ihm
alle Aufmerksamkeit schenkten.
„ Ist sie nicht reizend?“ , fragte er.
„ Oh das ist sie“, versicherte die Dicke, „ ein
echtes
Schmuckstück. “
„Warum habt ihr sie denn nicht auf die Klosterschule
geschickt?“, fragte die Alte, „ dort soll es eine ausgezeichnete
Erziehung geben.“
„ Für die Zukunft meiner Nichte ist bestens gesorgt“, lächelte,
„ und nun entschuldigt die Damen, der Lord wünscht sie zu
sehen.“
Seine Stimme klang seltsam
bedeutungsvoll,
worauf die
Damen sich ebenso bedeutungsvolle Blicke zuwarfen.
„Welcher Lord?“, spukte es durch Veluras Kopf. Hatte er
eben Lord gesagt? „
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