Augen der Nacht (Dunkelmond Saga) (German Edition)
hervorragend darin einfügte.
Wie sie diesen Perückenmann dafür hasste!
Ein heftiger Ruck erschütterte die Kutsche. Sie holperten in
die nächste Seitengasse.
Bald schon würden sie da sein. Durch das Fenster sah sie
bereits die Türme der Kathedrale. Vielleicht war dies ihre
letzte Chance, um rauszuspringen. Sie musste nur die Tür
öffnen und los laufen. Hauptsache schnell und egal wohin.
Aber wie es schien war es dafür schon zu spät.
Das Gefährt wurde langsamer. Kurz darauf sah sie einen
riesigen Platz und ein gigantisches Bauwerk.
Das musste der Dogenpalast sein. Groß und mächtig ragte
er in den Abendhimmel. Eine breite Treppe führte hinauf zu
den Eingangspforten.
Von
allen
Seiten
kamen
Besucher
herbei. Prunkvolle Kutschen brachten neue Gäste. Auch ihr
Gefährt kam zum Stehen und die Türe öffnete sich.
„ Raus mit euch“, maulte der Naugrimm, „na los!“
Sein roter Bart kringelte sich heute in kunstvollen Zöpfen.
Dazu trug Rolin einen blaugoldenen Kutschermantel. Mit
der nötigen Verzweiflung suchte Vell sein Gesicht. Doch wie
sie wusste, es war vergebens.
„ Hals und Beinbruch“ , murmelte er. Yvette nahm ihren Arm
und zog sie mit sich.
„ Pass auf das Kleid auf. Du wirst sonst noch stolpern.“ „ Gute Idee“ , fand Vell, „ dann breche ich mir schon mal das
Bein.“
„So ein Unsinn! Und nun komm, du siehst wunderschön aus!“ Aber Vell fühlte sich stattdessen nur krank. Überall waren
Menschen und je näher sie dem Eingang kamen, desto
flauer wurde ihr Magen.
Hysterisches Frauenlachen mischte sich mit klappernden
Schuhgeräuschen. Im dichten Gedränge nahmen sie ihren
Weg zum Portal. Beinahe jedes Gesicht war geschminkt. Die
Kostüme waren
aufwendig.
Und
das Parfüm
mancher
Damen war so stark, dass es ihr den Atem verschlug.
Kurz vor dem Eingang hielt Yvette schließlich inne und
überreichte ihr ein rotes Kuvert.
„ Das wirst du brauchen. Also pass gut darauf auf.“ Es duftete nach Rosen und sah aus wie die Einladungskarte. „Weiter kann ich dich nicht begleiten“, erklärte sie, „ und nun
geh! Ich werde dich später hier abholen.“
„ Wann ist später?“ ,
„ Du hast etwa zwei Stunden. Bis dahin werde ich in der Nähe
sein.“
„Und wenn es schief geht?“
„ Das wird es nicht. Wir brauchen diese Einladung. Ganz egal
wie du es auch anstellst.“
„ Aber ich… “, stammelte Vell .
Doch Yvette hatte sich bereits von ihr abgewandt. Sie lief
wieder die Treppen hinunter. Kurz darauf war sie in der
Menge verschwunden.
Bei den Göttern! Erst heute Morgen hatte sie noch die
Heldin gespielt und jetzt war sie so aufgeregt, dass sie kaum
das Kuvert halten konnte!
Aber es half nichts. Sie hatte keine Wahl und folgte dem
Menschenstrom zum Portal.
In der großen Vorhalle herrschte dichtes Gedränge. Eine
Einheit
königlicher
Soldaten
nahm
jeden
der
Gäste
in
Augenschein. Wie es aussah, wollten alle zu einem großen
Pult.
„ Ich hasse öffentliche Bälle“, schimpfte die breite Dame
hinter ihr, „ wenn es nach mir ginge, würde es eine strengere
Auswahl geben.“ Mit abfälligem Blick sah sie Veluras Kleid,
vom Ausschnitt bis hinunter zum Saum.
Also doch, es war viel zu gewagt! Verunsichert wand sich
Vell nach vorne. Aber die Schlange war lang und das Pult
noch weit.
Der Herr vor ihr, hatte es nicht eilig. Er war mittelgroß,
kräftig. Auch das Alter stimmte. Nur nicht seine Nase. Sie
war viel zu groß.
Verdammt! Wie sollte sie so nur den Markgrafen finden?
Die meisten Männer hier waren wohlhabend. Nicht wenige
trugen einen Bart. Und sie hatte längst vergessen wie er
überhaupt aussah.
„Nur nicht nervös werden“, dachte Vell. Und vor allem„nicht die Nerven verlieren!“
Es waren viele Menschen! Viele Gesichter!
Alle warteten. Es wurde stetig lauter und voller. Immer
mehr Herrschaften
stolzierten
vor das große Pult.
Und
immer neue kamen nach, um sich anzustellen.
Es erschien ihr wie eine Ewigkeit. Aber nach einiger Zeit
kam sie schließlich doch an die Reihe.
„ Guten Abend“ , begrüßte sie der Zeremonienmeister. Er war
wie eine Frau geschminkt und entnahm ihrer Hand das
Kuvert.
„ Mistress Na Tirnae“, las er, „ wir heißen euch willkommen
und wünschen euch einen wundervollen Abend.“
„Danke sehr“, erwiderte Vell höflich und raffte ihr Kleid . Sie wollte keine Zeit mehr verlieren und lief schnell an ihm
vorbei in die nächste Halle.
Von hier aus ging es weiter in einen Flur. Und danach in
einen riesigen Festsaal. Hier gab es noch mehr Augen.
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