Augen für den Fuchs
durchschauten. Serafina Karataeva war eine wichtige Zeugin. Hoffentlich waren die Kollegen nicht aufmerksam geworden und stellten jetzt sie unter Beobachtung, weil sie Zweifel an ihrer Gesetzestreue hatten. Denn sie hätten recht mit ihrem Verdacht: Beetz würde sich mit Serafina Karataeva treffen. Sie würde sich schützend vor die Frau stellen, auch dann, wenn sie durch sie keine Beweise gegen Time is Money in die Hand bekam. Im besten Fall würde sich aber mit ihrer Hilfe der Fall Frank Stuchlik klären lassen.
Die Hohmann teilte Beetz mit, dass sich Kohlund auf eine Unterredung mit dem Polizeipräsidenten vorbereitete und keine Störung erlaubte. Sie solle es in ein, zwei Stunden nochmals probieren. Sie hielt es im Büro nicht mehr aus. Sie musste raus und sich vor dem Treffen mit Serafina Karataeva bewegen.
Schnell nahm sie die Stufen, als ersticke sie im Gemäuer des Präsidiums. Die Stadt war voller Menschen. Beetz eilte durch geschäftige Passagen und drängelte durch herumstehende Gruppen. Mehrmals sah sie sich um. Schmitt folgte ihr nicht. Und auch nicht die Kollegen der Ausländerbehörde. Vielleicht war das nur die Aufregung vor der Lösung des Falles.
Auf dem Marktplatz standen Buden, irgendein Fest wurde gefeiert. Beetz wusste nicht, welches. Es diente sowieso nur dem Verkauf von Gemüse, Wein und Nippes. Karussells klingelten nach Kundschaft. Eltern hielten ihre Kinder zurück. Beetz besuchte die Innenstadt nur aus beruflichen Gründen. Die Waren des täglichen Bedarfs holte Beetz um die Ecke ihrer Wohnung. Schuhe und Kleidung und Taschen kaufte sie im Urlaub. Im Ausland hatte sie Zeit und die Muße, sich um solche Dinge zu kümmern. Wenn Joseph sie nicht vom Shoppen abhielt.
Überhaupt Joseph. Vielleicht sollte sie ihn auf die Spur von Serafina Karataeva setzen. Eine hautnahe Reportage vom Rand unserer Gesellschaft. Betrug, Illegalität, gar Mord waren Komponenten, die ihn eigentlich an dem Fall interessieren müssten. Sie könnte ein paar Tipps am Abendbrottisch streuen. Wenn Joseph daheim wäre. Ihre gemeinsamen Stunden waren nicht viele. Vielleicht war das der Grund, warum Beetz es mit ihm aushielt.
Auf dem Augustplatz rannten Menschen nach Straßenbahnen, Autoschlangen wollten in die Tiefgarage, Cityguides erklärten Touristen die Stadt. Sie deuteten auf Oper und Gewandhaus und Universität. Ein Weinsensorium in einem großen Zelt beherrschte den Platz. Verkäufer boten darin ihre Produkte feil. Viele Passanten ließen sich Eintrittskarten für eine Verkaufsshow aufschwatzen und probten den Alkohol mit gespitzten Lippen. Volksmusik spielte. Ein Martinshorn schallte. Beetz setzte sich auf eine Bank am Mende-Brunnen und beobachtete die Leute.
Sie sah keinen Verdächtigen, der sie unter Beobachtung hatte. Auch schien ihr die Organisation solch schneller Verhaftung kaum möglich. Beetz zwang sich zur Gelassenheit. Serafina Karataeva und Dr. Luger konnten ihr trauen. Aber es war noch Zeit, mehr als eine Viertelstunde, bis um zwölf.
»Frau Beetz?«
Ein Mann Ende zwanzig stand vor ihr. Sein Anzug schlug keine Falten. Die Aktentasche klemmte ihm exakt unterm Arme. Seine Haare lichteten sich. Er hatte sie zum Igel geschnitten. Er lächelte. Sie lächelte. Allein stand er vor ihr.
»Ja«, sagte sie.
»Dann sind wir verabredet.«
»Schön. Nur vermisse ich Ihre Klientin.«
»Guten Tag erst mal.« Dr. Luger streckte ihr die Hand entgegen. Sein Druck war kräftiger, als sie bei seiner Erscheinung angenommen hatte. Beetz erhob sich. Er war kleiner als sie, doch sein Igelschnitt ließ ihn größer erscheinen. Sie sah die Kopfhaut. Er würde sich in kaum einem Jahr den Rest zur Glatze rasieren, da war sich Beetz sicher. Sein Anzug war dunkelblau, das Hemd weiß. Die Krawatte zeigte Fix und Foxi beim Tanzen. Oder bei einer ähnlichen Beschäftigung. Beetz konnte das Motiv nicht interpretieren, außerdem schien es ihr ein Stilbruch. Dr. Luger lächelte noch immer freundlich. Seine Aktentasche reichte ihm über die Knie. »Sind Sie auch allein?«
»Ja.«
»Kann ich mich darauf verlassen?«
»Ja.«
Daraufhin wühlte er in seiner Tasche und zog einen Brief heraus. Sie bemerkte seinen dicken Siegelring am Zeigefinger. Blau, goldumrandet, passend zum Anzug.
»Meine Mandantin hat sich entschlossen, doch nicht persönlich mit Ihnen zu sprechen. Ich soll Ihnen diesen Brief übergeben.«
Beetz nahm ihn und las ihren Namen auf dem Umschlag. Dr. Luger entschuldigte sich. Sie wendete das Papier, dann sah sie
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