Augen für den Fuchs
Hartnäckigkeit, präzise Arbeit, Ausdauer und Sorgfalt zahlten sich eben aus. Sie hatten ganze Arbeit geleistet, und Merghentins Ergebnisse hatten den Staatsanwalt davon überzeugt, die Haftbefehle zu unterschreiben. Time is Money und Herr Dr. Bornschein waren überführt, die Verantwortlichen jedoch noch nicht verhaftet. Eine internationale Fahndung war ausgelöst worden. In jedem Computer Europas tauchten nun Name und Bild des cleveren Geschäftsführers auf. Keine Passkontrolle konnte Dr. Bornschein passieren, ohne festgenommen zu werden.
Auch Agatha Schell würden sie finden. Beetz vermutete sie noch in Leipzig. Unter der angegebenen Adresse war sie nicht zu erreichen, vielleicht wohnte sie auf der Flucht bei einem Freund oder einer Freundin. Irgendwann würde sie auftauchen, weil sie das Gewissen quälte. Beetz war sicher, dass Agatha Schell sich selbst stellen würde. Sie hatte Mitleid mit dieser Frau. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass Agatha Schell einer der führenden Köpfe dieses Betruges sein sollte. Dafür trugen andere die Verantwortung.
Time is Money: Ein Schwindelunternehmen, das die Not und die Hoffnungen illegaler Einwanderer und sozial Schwacher gnadenlos und perfide ausgenutzt hatte. Die Methode war einfach. Ausweise Leipziger Bürger wurden gestohlen und unter deren Namen Arbeitsverträge geschlossen. Die Namen Anita Demand und Manuele Schwitters waren Beweise dieses Missbrauchs. Die einstellende Firma hatte keinen Grund, den Bewerbern zu misstrauen: Alle Angaben stimmten, die Zeugnisse waren zu gut gefälscht, um Verdacht zu schöpfen. Lohn und Sozialabgaben zahlte das Neurophysiologische Zentrum an Time is Money. Fragen tauchten keine auf. Die Arbeit wurde getan. Bei Anita Demand und Manuele Schwitters gab es keine Beschwerden. Aber wer diese Frauen in Wirklichkeit waren, das wusste keiner in der Mordkommission. Und auch Beetz fand keinen Ansatz, wie sie die wahren Identitäten ermitteln könnte. Nur Kollege Schmitt saß auf seinem Stuhl und grinste, als wüsste er die Antworten schon.
Die Sitzung dauerte nur kurz. Beetz ordnete mit Merghentin die Beweise aus dem Internet und dem Finanzamt, als der Anruf sie erreichte. Die Hohmann vermittelte.
»Doktor Luger müsste den Termin verschieben. Um eine halbe Stunde. Er fragt, ob das ginge?«
Beetz kannte weder einen Dr. Luger noch wusste sie von einem Termin. »Wer?«
»Doktor Luger.«
»Den Namen kenne ich nicht.«
»Hauptkommissar Schmitt hatte mit ihm gesprochen und einen Termin vereinbart. Leider ist Schmitt nicht in seinem Zimmer erreichbar oder schon außer Haus. Würden Sie übernehmen?«
Beetz übernahm. »Kommissarin Beetz am Apparat.«
»Ich hatte mit Ihrem Kollegen einen Termin für meine Klientin vereinbart.«
»Ja.« Beetz ordnete auf dem Schreibtisch Papiere. »Um welchen Fall handelt es sich?«
»Serafina Karataeva. Können wir uns um zwölf Uhr treffen, am selben Ort?«
Serafina Karataeva? Beetz wusste nicht, was der Mann von ihr wollte, und Schmitt hatte in der Beratung einen Dr. Luger mit keinem Wort erwähnt.
»Wer, bitte, ist Serafina Karataeva?«
»Serafina Karataeva ist die Krankenschwester, die aus dem Neurophysiologischen Zentrum verschwunden ist. Sie möchte eine Aussage machen unter der Voraussetzung, dass sie dadurch keine Nachteile erhält. Ihr Kollege hatte mir ein Treffen zugesichert. Nur konnten wir den Termin zehn Uhr dreißig nicht halten und bitten um eine Verlegung.«
Beetz begriff langsam. Schmitt ermittelte auf eigene Faust, spielte den einsamen, aber erfolgreichen Wolf. Mantel, Schlapphut, Alkohol und schlechte Laune – Kollege Schmitt entsprach immer mehr dem Klischee des Hardboiled Detective. Der wollte es allen beweisen. Nur war Schmitt weder Philip Marlowe noch Sam Spade. Die Mordkommission war ein Team, und auch der Kollege Schmitt hatte sich an die Regeln zu halten. Sie würde Kohlund sofort Meldung erstatten, wenn es ihr nicht wie Verrat vorgekommen wäre. Schmitt war sauer, und sie wollte nicht den Chef raushängen lassen. Vielleicht sollte sie erst mal mit Schmitt außerdienstlich reden und ihn fragen, ob er mit ihr noch auf ein Bier ausgehen würde. Aber bereits bei der Vorstellung wurde ihr übel.
»Serafina Karataeva ist die Nachtschwester, die Sie unter dem Namen Anita Demand suchen«, sagte Dr. Luger. »Sie ist bereit, mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie von ihrer Verhaftung und Auslieferung absehen.«
Ach was! Geschafft! Serafina Karataeva war die Zeugin, die die
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