Augen für den Fuchs
Verdachtsmomente gegen Time is Money bestätigen würde. Wenn sie sich nicht freiwillig gemeldet hätte, dann wäre es eine fast vergebliche Suche gewesen. Wie findet man jemand, der falsche Ausweise nutzt? Nur durch Zufall. Die falsche Anita Demand stellte sich. Sie würde Dr. Bornschein und sein Vermittlungsunternehmen auffliegen lassen. Vielleicht ließe sich so auch der Fall Stuchlik klären. Beetz war optimistisch.
»Warum sollte ich sie verhaften?«
»Serafina Karataeva besitzt für Deutschland keine gültige Aufenthaltserlaubnis. Sie möchte weder verhaftet noch abgeschoben werden. Können Sie mir das zusichern?«
Beetz zögerte keinen Augenblick. »Ja.« Sie wusste, dass sie gesetzeswidrig handelte. Aber manchmal ließen sich Fälle nur auf diese Weise klären. Sie wollte Serafina Karataeva nicht verraten, genauso wie sie anderen Zeugen die Wahrung privater Geheimnisse zusicherte. Sie wollte den Fall lösen.
»Wir hatten als Treffpunkt das Glashaus im Clara-Park vorgeschlagen.«
Beetz sah keinen Grund, den Ort zu ändern und wollte zustimmen. Doch da blickte sie auf die wehenden Baumwipfel vor ihrem Fenster, und es kamen ihr Zweifel. Schmitt hatte in der Sitzung kein Wort gesagt, hatte an seinem Kaffee genippt und gelächelt. Er hatte den Termin mit Dr. Luger vereinbart. Er rechnete mit seinem Erfolg. Serafina Karataeva war illegal in Deutschland – wollte der Kollege sie etwa den Behörden ausliefern? Absurd erschien ihr der Gedanke keineswegs.
»Vielleicht treffen wir uns lieber am Mende-Brunnen. Mehr Betrieb, mehr Leute, wir wären unauffälliger.«
»Einverstanden. Wie erkenne ich Sie?«
»Jeans, blaues Hemd und eine Zeitung unter dem Arm.«
»Klingt wie FDJ und junge Welt.«
Beetz lachte verständnisvoll, obwohl sie keine zehn gewesen war, als die DDR untergegangen war, samt Freier Deutscher Jugend und ihrem Zentralorgan. »Bis dann.«
Auch Dr. Luger fand sein Bonmot erheiternd, sein kurzzeitiges Lachen gluckste durch den Hörer. Dann legte er auf. Der Gedanke beschäftigte Beetz. Schmitt hatte von Serafina Karataeva nichts verlauten lassen. Und ihre Zeugenaussage würde die Verdachtsmomente im Fall Time is Money untermauern, wenn nicht sogar beweisen.
Beetz würde Serafina Karataeva nicht aufs Revier schleppen und offiziell verhören. Nein, sie würde sie nicht festnehmen. Schmitt würde es tun. Es war nur ein böser Gedanke, aber der ließ Beetz nicht los. Ein ungeschriebenes Gesetz bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen war, dass Zeugen, die unter Druck standen, nicht mit Repressalien zu rechnen hatten. Quasi eine Kronzeugenregelung. Beetz würde sie einhalten. Kein Zweifel. Wenn aber der Schmitt …? Traute sie ihm solch einen Vertrauensbruch zu? Sie wählte die Nummer der Ausländerbehörde.
Beetz wurden alle Verdachtsmomente, Schmitt betreffend, bestätigt. Ja, der Kollege hatte sie auf den Fall einer illegal in Deutschland wohnenden Karataeva aufmerksam gemacht. Ja, der Hauptkommissar hatte mit ihnen vereinbart, sich heute zehn Uhr im Clara-Zetkin-Park zu treffen, um notwenige Maßnahmen abzusprechen. Ja, die Karataeva wollte mit Rechtsanwalt erscheinen. Ja, das Unternehmen barg Risiken, die sie aber bereit waren einzugehen. Nein, sie hatten keine moralischen Skrupel. Sie setzten Gesetze durch. Dafür erhielten sie ihr Gehalt. Natürlich war illegaler Aufenthalt eine Straftat. Nein, Kollege Schmitt hatte nicht von Ermittlungen in einem Mordfall gesprochen. Auch nicht von Sozialbetrug und Schwarzarbeit. Aber das sei eh nicht ihr Ressort. Ja, sie säßen bereits im Park und würden die Aktion abblasen, wenn Beetz ihnen versicherte, dass weder die Karataeva noch ihr Anwalt zum Termin erschienen. Nachforschen würden sie trotzdem. Jetzt war ihnen der Fall bekannt und Dr. Luger kannten sie ohnehin. Sie blieben da dran. Das war ihre Pflicht. Die Kollegen wünschten Beetz einen schönen Tag noch und viel Erfolg.
Reine Ironie. Beetz knallte den Hörer auf die Gabel. Ja, sie war wütend. Sie hätte schreien mögen. Stattdessen trank sie Kaffee.
Beetz musste mit Kohlund über den Vorfall sprechen und Schmitt anzeigen. Zwar hatte der sich keines Vergehens schuldig gemacht. Doch sie sah das anders, auch wenn es rechtlich keine Handhabe gegen Schmitt gab. Sie würde persönliche Konsequenzen ziehen, wusste nur noch nicht, welche. Zumindest hatte sie die Aktion abblasen lassen, ohne mit Schmitt Kontakt aufzunehmen. Es könnte sein, dass die Beamten der Ausländerbehörde ihren Schwindel
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