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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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überfliegen, ob sie etwas von Interesse enthielten. Dann band er sie wieder zusammen. Es war Schmutzarbeit. Seine Hände wurden ganz schwarz. Die Schimmelsporen drangen ihm in die Nase und verursachten ihm Kopfschmerzen.
    Streng vertraulich 28. Juni 1953 An das Zentralkomitee, Genosse Malenkow Anbei das Protokoll des Kreuzverhörs des Gefangenen A. N. Poskrebyschew, ehemaliger Sekretär von J. W. Stalin, betreffend seine Arbeit als antisowjetischer Spion. Die Verhöre dauern an.
    Stellvertretender Minister für Staatssicherheit der UdSSR A. A. Jepischew Das war der Anfang von allem gewesen – ein paar Seiten in der Mitte des Verhörs von Poskrebyschew, vor fast einem halben Jahrhundert von einer erregten Hand mit roter Tinte unterstrichen:
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie das Verhalten des Generalsekretärs in den vier Jahren von 1949 bis 1953.
    Poskrebyschew: Der Generalsekretär zog sich immer mehr in sich zurück und wurde ständig verschlossener. Nach 1951 hat er den Distrikt Moskau nicht mehr verlassen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich etwa von seinem siebzigsten Geburtstag an. Mehrmals wurde ich Zeuge von Bewußtseinsstörungen, die zu Ohnmächten führten, von denen er sich aber schnell erholte. Ich sagte zu ihm: »Lassen Sie mich die Ärzte rufen, Genosse Stalin. Sie brauchen einen Arzt.« Der Generalsekretär lehnte das ab, sagte, die Vierte Hauptadministration des Gesundheitsministeriums stünde unter der Kontrolle von Berija, und er würde Berija zwar vertrauen, wenn es darum ging, einen Mann zu erschießen, nicht aber, einen zu heilen. Statt dessen bereitete ich für den Generalsekretär Kräuteraufgüsse zu.
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie die Auswirkungen dieser gesundheitlichen Probleme des Generalsekretärs auf seine Arbeit.
    Poskrebyschew: Bevor die Bewußtseinsstörungen einsetzten, bewältigte der Generalsekretär ein Pensum von ungefähr zweihundert Dokumenten am Tag. Hinterher ging diese Zahl erheblich zurück, und er ließ viele seiner Kollegen nicht mehr zu sich kommen. Er machte sich viele private Notizen, zu denen ich keinen Zugang hatte.
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie die Form dieser privaten Notizen.
    Poskrebyschew: Diese privaten Notizen hatten unterschiedliche Formen. In seinem letzten Lebensjahr zum Beispiel hatte er sich ein Notizbuch angeschafft.
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie dieses Notizbuch.
    Poskrebyschew: Dieses Notizbuch war ein ganz gewöhnliches Notizbuch, wie man es in jedem Schreibwarenladen kaufen kann. Es hatte einen Einband aus schwarzem Wachspapier.
    Vernehmungsbeamter: Wer wußte noch von der Existenz dieses Notizbuchs?
    Poskrebyschew: Der Kommandant seiner Leibwache, General Wlassik, wußte davon. Auch Berija wußte davon und verlangte bei mehreren Gelegenheiten, ich solle ihm eine Kopie davon verschaffen. Das war unmöglich, sogar für mich, weil der Generalsekretär es in einem Safe in seinem Büro aufbewahrte, zu dem nur er den Schlüssel hatte.
    Vernehmungsbeamter: Stellen Sie Vermutungen über den Inhalt dieses Notizbuchs an.
    Poskrebyschew: Ich kann keine Vermutungen anstellen. Ich habe keine Ahnung.
    Streng vertraulich 30. Juni 1953 An den Stellvertretenden Minister für Staatssicherheit der UdSSR, A. A. Jepischew Sie werden angewiesen, Nachforschungen darüber anzustellen, wo sich die von A. N. Poskrebyschew erwähnten persönlichen Notizen von J. W. Stalin befinden, und zwar mit höchster Dringlichkeit und unter Anwendung aller geeigneten Maßnahmen. Zentralkomitee Malenkow Kreuzverhör des Gefangenen Generalleutnant N. S. Wlassik 1. Juli 1953 (Auszug)
    Vernehmungsbeamter; Beschreiben Sie das schwarze Notizbuch, das J. W. Stalin gehörte.
    Ulassik: Ich erinnere mich nicht an ein solches Notizbuch.
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie das schwarze Notizbuch, das J. W. Stalin gehörte.
    Ulassik: Jetzt erinnere ich mich. Ich erfuhr erstmals im Dezember 1952 von seiner Existenz. Eines Tages sah ich dieses Notizbuch auf dem Schreibtisch des Genossen Stalin. Ich fragte Poskrebyschew, was es enthalte, aber Poskrebyschew konnte es mir nicht sagen. Genosse Stalin sah mich an und fragte mich, was ich da täte. Ich erwiderte, ich täte gar nichts, mein Blick sei nur auf dieses Notizbuch gefallen, aber ich hätte es nicht angerührt. Genosse Stalin sagte: »Sie auch, Wlassik, nach mehr als dreißig Jahren?« Am nächsten Morgen wurde ich verhaftet und in die Lubjanka gebracht.
    Vernehmungsbeamter: Beschreiben Sie die Umstände Ihrer

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