Aus dem Berliner Journal
weiss es nachgerade. Übrigens kein konfuses Gestammel; es ist nur flach, sehr flach. Wenn ich gelegentlich nachsehe, was ich früher habe drucken lassen und was gelesen wird: nicht weniger flach, aber viel brauchbarer. Wenn ich, um mein Urteilsvermögen zu testen, bei andern Gedruckten nachsehe, eine Seite eines Buches aufschlage, ohne vorher nach dem Titel zu schielen, so empfinde ich die Gradunterschiede schärfer als früher. Ich bin nie ein Bewundrer von Thomas Mann gewesen, ein Gegner auch nicht , habe auch nur das eine und andere gelesen und brachte es über Respekt nie hinaus; heute verdutzt mich sein Werk, wo ich es aufschlage, nur um Sätze zu lesen: ob man sie, wenn man sie selber niedergeschrieben hätte, als brauchbar befinden würde. Und es ist sehr flach. Was sich dabei als Ironie gibt, ist ohne Dimension, eigentlich nur affig, eine Manier von der schlimmen Art; er scheint zu wissen, dass er ziemlich flach ist, und meint sich durch Ironie retten zu können, sich selbst. Dagegen andere Texte. Es ist nicht so, dass ich dann, um mich zu beruhigen, alles unbrauchbar finde; das beruhigt mich. Ich würde es schon merken, wenn ein paar Seiten, die ich geschrieben habe, brauchbar wären. Brauchbar für mich; nicht bloss verwertbar in einem Buch.
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58 Hat man schon zwei Hunde gesehen , die sich treffen, um sich über einen dritten Hund zu unterhalten, weil sie sich nicht für einander interessieren?
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59 17.3.
Betreffend Wohnen. Wieviel bestimmen die Möbel, ihre Stellung zu einander, ihre Erscheinung, ihre Brauchbarkeit. Dass sie bezahlt sind, macht auch etwas aus; eine Art von Erpressung, dass man sie benutzt, und schliesslich habe ich sie ja aus einem Bedürfnis erworben, z. B. aus dem Bedürfnis, nicht allzu unbequem mit zwei bis drei Zeitgenossen zu sitzen. Einer fragt: Welches ist Ihr Sessel? So eingewohnt sieht er uns schon. Und tatsächlich: schon sind Gewohnheiten eingezogen. Die Wege des geringsten Widerstandes sind unversehens gefunden. Gestern eine neue Lampe, eine alte, Jugendstil, billig erworben; sie hängt. Und sie wird bleiben. Ein Schrank, vor zwei Wochen von den Möbelträgern abgestellt nach den vagen Winken meiner Hand, ist so leicht nicht mehr wegzuwinken; er hat angefangen (und das finden auch Besucher, die sich noch umsehen) genau das rechte Stück am rechten Platz zu sein; ich bin ihm dankbar. Bald wird uns die Einrichtung überhaupt nicht mehr beschäftigen. Auch räumliche Verfügungen, die sich sofort als unpraktisch erweisen, werden sakrosankt, während und obschon man noch Veränderung erwägt, dank meiner Bequemlichkeit, die sich darin ausdrückt, dass ich mich an das Unbequeme gewöhne. Wir haben angefangen zu wohnen, wir sind schon gewohnt.
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60 Pro memoria ; ein französischer Edelmann, der auf dem Weg zum Schafott noch um ein Papier bittet, um sich etwas zu notieren, und es wird ihm gewährt, man könnte die Notiz ja vernichten, wenn sie sich an irgendjemand richtet, aber das ist nicht der Fall; es war ganz und gar eine Notiz für ihn selbst, pro memoria.
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63 19.3.
Als ob, ohne mein Zutun, sich eine andere Optik eingestellt hätte, eine andere Tiefenschärfe: es fallen mir immer wieder Situationen ein, privat-historische, wobei ich mich ziemlich absurd verhalten habe (nicht wie es zu mir passt! nach meiner Meinung) oder brutal oder kindisch. So viele Ritte über den Bodensee!
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64 22.3.
Langsamer Frühling, ich zeige M. die Krumme Lanke , Gelände geheimer Erinnerung, so historisch wie die Luftbrücke damals .
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Ohne Arbeitsplan.
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65 Ein Mann kommt in ein Gerichtsverfahren , seines Wissens völlig unschuldig. Aufmarsch der Zeugen, die, so meinen sie offenbar, zu seinen Gunsten aussagen; Details, an die er sich nicht erinnert hätte. Was er, von Ankläger oder Verteidiger befragt, selber vorbringt, tönt ungünstiger. Auch Briefe, die im Saal verlesen werden, erschrecken ihn; dann sitzt er mit gesenktem Kopf, wenigstens die Augen geschlossen, wenn man schon die Ohren nicht schliessen kann. Sein Verteidiger strahlt als Jurist; kein Anlass zur Melancholie, versichert er dem Angeklagten. Von Zeuge zu Zeuge verstärkt sich das Alibi; die Geschworenen sind schon ziemlich sicher; der Staatsanwalt kann es ihm nicht ersparen, dass seine Person beleuchtet wird, und fragt denn auch immer, ob er, der Angeklagte, den Zeugen in irgendeinem Punkt widersprechen möchte. Das
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