Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)
Angetrauten gegen mein Scheinbein kann mich kurzfristig davon abhalten, den Abonnement-Vertrag, den Holger zufällig noch in der Jackentasche gefunden hat, hier und jetzt zu unterzeichen.
„Schatz, Du siehst ganz blass aus. Ist Dir nicht wohl?“
Recht hat er. Gerade habe ich mir die prall gefüllte 10 kg schwere XXX-Super-L-WiWriCo-Windel etwas zu bildhaft vorgestellt.
„Sag mal, habt ihr eigentlich schon einen Kinderwagen? Annamarias Schwester hat eine Bekannte, die bei Waldesmühle arbeitet, dem einzigen Hersteller von I-Maxx-Joggern, dem neuesten vom Neuen auf diesem Sektor. Elektronische Steuerung mit allem Pipapo.“ Die $-Zeichen in Holgers Augen leuchten bedrohlich. Offensichtlich scheint er auch an den %% von Annamaria beteiligt zu sein.
„Och, murmelt der zukünftige Kindesvater an meiner Seite.
„Kann man so etwas nicht im Internet bestellen?“
„Im Internet? Wie stellst Du dir denn das vor? Kinderwagenkauf ist doch Vertrauenssache.“
Genau. Kinderwagenkauf ist Vertrauenssache.
Und deshalb nehmen der Kindesvater und ich meine sich zufällig und rapide verstärkende Übelkeit zum Anlass, um schleunigst von dieser Verkaufsveranstaltung zu flüchten.
Um den Rest des abends bei einer guten Tasse alkoholfreien Kamillentee im Internet zu surfen. Und ein bisschen zu shoppen. Bei
www.billige-kinderwagen.de . Oder bei ebay. Kinderwagen ab 1 €. Mit integriertem Windel-Wringer-Container.
Spracherziehung
Eilig schiebe ich mein 4-Monats-Bäuchlein am frühen Morgen durch den Supermarkt. Eigentlich habe ich keinen Hunger, doch Baby muss etwas Gesundes essen.
Ziehe meinen Einkaufsratgeber Brainfood für das Ungeborene zu Rate.
In der 15. Woche entwickeln sich die peripheren Gehirnzellen, die für das abstrakte Denken verantwortlich sind. Am besten beginnen Sie den Tag mit einem frischen Cocktail aus Kumquats, Algen und 5 rohen Eigelb. Abgeschmeckt mit Apfelessig und abgerundet mit ein paar Tropfen Distelöl erhalten Sie so eine vollwertige Mahlzeit, die die körperliche und geistige Entwicklung Ihres Babys optimal fördert.
Während ich mich beim Lesen des Rezepts stark beherrschen muss, nicht gleich zwischen die Salatgurken und Möhren zu speien, höre ich ein paar mir vertraute Stimmen.
„Nein, tut mir leid Tina. Heute Abend kann ich nicht zum Stillvorbereitungskurs kommen. An der Pränatal-Uni findet ein Vortrag über vorgeburtliche Spracherziehung statt. Bereits im Mutterleib sollen die Kinder eine nahezu perfekte englische Aussprache entwickeln können.“
Die Stimme gehört Tinas bester Freundin Jutta, die demnächst auch Mutterfreuden entgegen sehen darf.
Offensichtlich findet ein werdende-Mütter-Treffen in der Gemüseabteilung statt.
Stecke meine großen Lauscher durch einen Ständer mit Bananen, natürlich Bio, während Tina antwortet.
„Stimmt. Marc-Antonius und ich sind mittlerweile im Fortgeschrittenen-Kurs Französisch. Das global fetal Cambridge-certificate haben wir ja bereits im 3. Schwangerschaftsmonat mit Bravour erworben. Marc-Antonius Tee-Ätsch ist nahezu perfekt. Noch ein etwas längerer Aufenthalt in Stratford-upon-avon im nächsten Monat und wir können die Spracherziehung von unserem Marc-Antonius erfolgreich abschließen.“
Und was habe ich bis jetzt für das ungeborene Wesen in meinem Bauch getan? Nichts. Ich habe noch nicht einmal daran gedacht.
Da ist es wieder, das schlechte Gewissen einer
R A B E N M U T T E R.
Weder Eurythmie für Mutter und Kind, noch Beethoven für Babys. Auch die Frist für die Anmeldung zum Schwangerschaftsschwimmen habe ich längst versäumt.
Sämtliche Schwangerschaftsbücher und Erziehungsratgeber stehen bis heute ungelesen in der Ecke. Stattdessen hetze ich von Termin zu Termin und trinke immer zwei Tassen Kaffee mehr als erlaubt.
Stillvorbereitungskurs und pränatale Spracherziehung. Die Worte klingeln noch in meinen Ohren, als mich Tina zwischen den Papayas entdeckt.
Schiebe die 5-LiterVorratspackung mousse au chocolat, die ich als kleinen Snack zwischendurch eingeplant habe, verschämt unter einen glücklichen Kopfsalat aus Freilandanbau.
„Oh hallo Katja, wie geht es euch denn so?“ fragt sie.
Euch ? Schaue mich um, bis mir einfällt, dass sie mich und den kleinen Winzling im Bauch meint.
„Jutta und ich unterhalten uns gerade über die pränatale Spracherziehung. Was für Kurse besucht ihr denn so?
Jutta bevorzugt den romanischen Ansatz, während ich mich die anglo-amerikanische Spracherziehung
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