Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)
lacht.
1:30 Uhr
Ich klebe die Fotos vom Ibiza-Urlaub vor 27 Jahren ein.
Der Fön läuft.
Das Baby lacht.
3:25 Uhr
Ich lese 300 Seiten in Dietrich Schwanitz´ Bildung .
Der Fön läuft.
Das Baby lacht.
4:50 Uhr
Ich bügle 27 Unterhosen.
Der Fön läuft.
Das Baby lacht.
Und die Frisur sitzt.
Nachbarn
Heute ist er da.
Der große Tag.
Paulchens erster Spaziergang.
Packe mein Kind, wie es sich für eine ökologisch korrekte Mutter gehört, in das spuck- und speichelechte Wurzelzwerg-Babytragetuch ein.
10.35 Uhr.
Biege in die Karlstraße und treffe Frau Sauer, Nachbarin zur Rechten.
Sie bricht vor Freude fast in Tränen aus.
„Ist das der kleine Prinz, ja isser das ?“
Während sie das Tragetuch versonnen streichelt, versucht sie, einen klammheimlichen Blick hinein in Paulchens Höhle zu erhaschen.
„Aber, ich will mich ja nicht einmischen, aber meinen Sie, dass das gut ist? Kinder brauchen einen richtigen Kinderwagen, Haben Sie etwa keinen?“
Ruhig und besonnen schildere ich Frau Sauer die Vorzüge des Getragenwerdens, die Nähe zur Mutter, die Entwicklung des Gleichgewichtsinns und somit auch der frühkindlichen Intelligenz.
„So so, also zu unseren Zeiten hätte es so was nicht gegeben. Da legte man die Kinder ordentlich in den Kinderwagen zum Schlafen. Wie alt ist der Kleine? Zwei Wochen? Früher, da wäre man noch ordentlich zu Hause geblieben und ließe sich pflegen im Wochenbett.“
Wochenbett, Wochenfluss, Wöchnerin. Und Waschen war auch verboten, so dass man zwangsweise 8 Wochen nicht vor die Tür durfte. So und nicht anders stelle ich mir insgeheim die gute, alte und vor allen Dingen ordentliche Zeit vor.
„Und, schläft er schon durch?“ fragt Frau Sauer mit einem hinterhältigen Blick auf meine tiefen Augenringe, Zeugnis von zwei Wochen Nachtwache.
Ohne meine Antwort abzuwarten, fährt sie fort:
„Also unsere beiden waren so liebe Kinder. Haben vom ersten Tag an durchgeschlafen. Sind immer freiwillig ins Bett gegangen. Waren immer artig und haben sich nie geprügelt. Haben nie geschrien oder gequengelt.“
Das ist das Stichwort für Paulchen. Das Tragetuch beult sich aus und das Kindchen fängt an zu rumoren.
„Sehen Sie, scheint ihm gar nicht zu gefallen da drin. Kein Wunder, so eng, wie er es da hat. Und man kann auch gar nichts sehen.“
Lautstark dementiere ich, während Paulchens Geknöttere in einen lautstarken Hungerschrei übergeht.
Breche den ersten Freilandversuch um 11.05 Uhr mitteleuropäischer Zeit kurzerhand ab.
Neuer Tag, neues Glück.
11.25 Uhr.
Zweiter Versuch.
Damit die Nachbarn endlich etwas zu sehen haben, packe ich mein Paulchen und will es in den Kinderwagen legen.
Lautstarker Protest.
Das Telefon klingelt.
Das Kind schreit.
Der Hund bellt.
Der Paketbote liefert 27 Pakete.
Ich besinne mich auf Yin und Yan und wie sie alle heißen mögen, zähle erst einmal bis hundertzwanzig und atme tief durch. Paulchen ist das vollkommen egal. Er läuft hochrot an, als ob er jeden Moment platzen würde und schreit sich die arme kleine Babyseele aus dem Hals. Welches Mutterherz kann da noch Widerstand leisten. Will ja schließlich keine Rabenmutter sein. Gebe die Operation Kinderwagen bis auf weiteres als gescheitert bekannt und packe Paul in sein Tragetuch. Er schmiegt sich an mich und ist im Bruchteil einer Sekunde tief und fest eingeschlafen.
Just in dem Moment, als ich das Haus verlasse, treffe ich Frau Lorenz, Nachbarin zur Linken. Auch sie empfängt den neuen kleinen Erdenbürger mit einem herzlichen Willkommen.
Doch dann mit einem Seitenblick auf das Tragetuch:
„Ja haben Sie denn keinen Kinderwagen?“
Diesmal versuche ich gar nicht, Frau Lorenz die Vorzüge der Kreuzwickelwohlfühltrage zu erläutern. Damit wir endlich zu unserem Spaziergang kommen, murmele ich etwas von kaputt, ausverkauft und Falschlieferung unseres Kinderwagens. Doch Frau Lorenz ist hartnäckig.
„Ja, will er denn gar nicht mehr raus aus dem Tuch?
Da haben Sie ihn wohl zu sehr verwöhnt.“
In diesem Moment beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Frustriert muss ich auch diesmal den Spaziergang abbrechen.
Tage später.
Ich bin es leid.
Paulchen braucht Sauerstoff, meine Bandscheiben und vor allem meine Nerven brauchen Schonung. Keine Lust, mich während meines der Ruhe und Erholung dienenden Spaziergangs auf ständige Belehrungen und Erläuterungen einzulassen, wird Paulchen in den Kinderwagen gepackt. Jeder Widerstand
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