Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)
verdammt bald sputen.
„Ich glaube, es geht los. Die Wehen kommen schon alle acht Minuten“, wecke ich meinen Liebsten sanft und leise.
„Was, wie, jetzt? Der Termin ist doch erst nächste Woche.“
Ich versuche ihm klarzumachen, dass sich Babys nicht immer an die mathematischen Berechnungen eines Gynäkologen halten, doch es hilft nicht.
„Und außerdem ist heute Samstag. Da muss man ausschlafen. Fahr doch schon mal vor.“
Mein Liebster dreht sich zur Seite und schnarcht weiter.
Ich rüttele und schüttele ihn. Doch vergeblich. Kurz denke ich darüber nach, sofort einen Termin mit einem Scheidungsanwalt zu vereinbaren. Doch erst muss das Kind raus, egal wie.
Ich starte einen Notruf bei meinen Schwiegereltern. Denn die sind nicht ganz unschuldig an dem Dilemma, in dem ich jetzt stecke.
Mein Schwiegervater verspricht, mich sofort abzuholen. Wenigstens auf einen in dieser Familie ist Verlass. Wieder schaue ich auf die Uhr.
Die Wehen kommen jetzt alle 4 ½ Minuten. Die Entfernung zum städtischen Krankenhaus beträgt exakt 15 Minuten bei freier Fahrt. Mein Schwiegervater fährt mit seinem Audi 80 niemals schneller als 50. Auf unserem Anfahrtsweg müssen wir eine Tempo 30 Zone von 1.000 m Länge durchqueren.
Wann wird das Kind geboren?
Zugelassene Hilfsmittel zur Lösung dieser Textaufgabe sind 1 Bleistift, Stärke HB2, 1 Radiergummi und ein Taschenrechner.
Nun, wenn X die durchschnittliche Geschwindigkeit meines Schwiegervaters ist und Y die Entfernung zum Krankenhaus, dann muss ich nur noch den Abstand zwischen den einzelnen Wehen ins Verhältnis setzen zur Länge des Geburtskanals.
Meine mathematischen Berechnungen werden durch das wilde Hupen meines Schwiegervaters unterbrochen, der wider Erwarten mit Lichtgeschwindigkeit gefahren sein muss.
Auf dem Weg zur Klinik schafft er es, seinen soeben aufgestellten Rekord noch zu unterbieten, indem er innerhalb von 7 Minuten drei Rotlichtverstöße begeht und die Geschwindigkeit um 37 km/h innerorts überschreitet. Ich zittere mit ihm und um Paulchen. Vermutlich wird ihm die Tatsache, dass er in seinem früheren Leben Verwaltungsbeamter in einer Ordnungsbehörde war, keine mildernden Umstände vor Gericht einbringen. Aber falls ich dann noch lebe, werde ich als Zeugin ein gutes Wort für ihn einlegen.
Doch dazu kommt es Gott sei Dank nicht, wir erreichen die Zufahrt zum Städtischen Klinikum unbeschadet.
Die Empfangsdame blickt kaum von ihren Papieren auf, als wir, ohne anzuklopfen, in ihr Territorium eindringen.
„Sie wünschen?“
„Wir bekommen ein Kind“, stößt mein Schwiegervater noch völlig außer Atem hervor.
„Aha. Dann nehmen Sie erst mal den Fragebogen A1 und füllen ihn bitte vollständig und wahrheitsgemäß aus. Dann benötige ich noch die Unbedenklichkeitsbescheinigung U41, die Schweigepflichtentbindungserklärung S3 , das Vorsorgeheft V6, das Hebammenprüfzeugnis HPZ, das Nachsorgeheft N, Ihren Anwartschaftsschein A2, die Ausfallbescheinigung Ihres Arbeitsgebers, AA5 oder wenn Sie selbständig sind, den Vordruck Z27 und die Verzichtserklärung VZ7“, leiert die Empfangsdame herunter, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Gleichzeitig schiebt sie einen dicken Packen Formulare rüber.
„Entschuldigen Sie, wenn ich so unhöflich bin, Sie zu unterbrechen, aber meine Wehen kommen jetzt alle 2 Minuten. Kann ich das nicht hinterher ausfüllen?“
„Da könnte ja jeder kommen. Das muss alles seine Ordnung haben. Wenn Sie nicht alles ordentlich ausfüllen, können Sie auch kein Kind bekommen.“
„Und ob ich das kann.“
Ich beschließe, zu härteren Mitteln zu greifen. Als die nächste Wehe kommt, werfe ich mich auf den Tisch und schreie, bis die Wände wackeln.
Die gute Frau hat Erbarmen mit mir. Vielleicht hat sie aber auch nur Angst vor Blutflecken auf ihrem blendendweißen, frisch polierten Schreibtisch.
„Also gut, Notfallschein, Sie kennen den Weg zum Kreißsaal? Ab ins 1. Obergeschoß, 3-mal klingeln und dann guten Rutsch.“
An der Kreißsaaltür werde ich von einem grün gekleideten freundlich lächelnden Engel begrüßt.
„Guten Morgen, ich bin Anita, die Hebamme vom Dienst. Was kann ich für Sie tun?“
„Ein Einzelzimmer mit Dusche, WC und kontinentalem Frühstück,“ scherze ich noch, bis mich die nächste Wehe erwischt. Ich schreie auf, stürme die Kreißsaaltür, bis ich das Blut in meinen Ohren rauschen spüre.
Dass die Schmerzen so stark sein würden, haben mir sämtliche Ratgeber
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