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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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niederzulassen, einige so nahe bei ihm, daß seine Füße sie fast berührten. Er saß jedoch ohne Regung und ohne dies zu bemerken; denn furchtbar zeigte sich nun seinem Auge Gott. Er war nackt und die halberhobenen Hände waren vom Seil umschlungen, das schräg angespannt von ihrer Schwere am Pfahl herunterhing.
    Der Gott stand ein wenig vom Stamm entfernt, einsam an diesem Holz und unter dem tiefdunkeln und doch feurigen Himmel, voll sichtbar im Licht, das ihn wie ein Rad umgab, so daß er in diesem Kreis gebannt war und ein Bild der Macht dessen bot, der unbeweglich in der Finsternis des Seitenportals dem Gott gegenübersaß. Der Schatten des Gottes jedoch wuchs aus dem Lichtkreis der Fackeln heraus mitten in sein Herz, so daß alles, was nun geschah, sich zwischen ihm und dem Gott abspielte; denn alle Dinge, die Legionäre und das Brennen der Fackeln, der Pfahl, der in den Himmel gereckt war, die strengen Quader der Mauern, die harte Fläche des Bodens, das leise Atmen des Sklaven und die Feuermassen der Gestirne, waren nur da, weil Gott da war und er und nichts anderes, und waren da, weil es zwischen Gott und Mensch keine Verständigung gibt als den Tod, und keine Gnade als den Fluch, und keine andere Liebe als den Haß. Und wie er das gedacht hatte, erhoben sich Legionäre in der Nacht, von der sie gedeckt wurden, wenige nur von ihnen, und traten von allen Seiten mit nackten Oberkörpern gegen den Gott: einige grell 72

    beschienen, und andere nur als Silhouetten sichtbar. In ihren Händen bewegten sich die Peitschen gleich Schlangen, umglit-ten spielend die mächtigen Arme, glitten dann zuckend leicht über den Boden als grausame Tiere mit unförmigen Köpfen aus Blei. Die Männer umschritten den Gott wie zum Tanz, berührten wie zum Spiel mit den schmalen Peitschen seinen Leib, um dann plötzlich in rasender Wut auf ihn einzuhauen, wobei sich die bleiernen Köpfe tief in den Leib des Gottes gruben, so daß sein Blut aus dem Fleisch brach, was ihn, der ruhig gesessen, mit unendlicher Qual erfüllte, da er im geheimen erwartet hatte, die Peitschen würden am Gott wie an Marmor abgleiten. Nun aber sah er, wie der Gott zusammen-sank, von den furchtbaren Schlägen der Legionäre getroffen, so daß die Füße über den Boden schleiften, weil die Hände durch das Seil weit nach oben gerissen und der Leib von der Wucht der Peitschen im Kreise herumgeworfen wurde, immer wieder von den pfeifenden Hieben der Legionäre getroffen, die halb nackt den Gott umtanzten, um von allen Seiten auf ihn einzuschlagen, vom flackernden Licht der Fackeln übergossen, welches die Schatten gespenstisch auf den steinernen Boden warf, der wie ein Spiegel war, wie dünnes Eis über ein boden-loses Meer gespannt. Dann aber ließen sie, wie der Leib leblos hing, mit starren Gesichtern vom Gott; denn müde lagen die Peitschen in ihren Händen, und langsam verschwanden die Menschen in der Nacht, so daß er allein dem Gott gegenüber zurückblieb, während ungeordnet die Schritte der Legionäre verhallten. Die Fackeln brannten nun ruhiger; doch waren sie dem Erlöschen nahe, und Pech tropfte auf den blutigen Leib, der sich um das Holz des Pfahles schlang. Da geschah es, daß er sich von seinem Sessel erhob und langsam zum Gott trat. Er trat so nahe zu ihm, daß er ihn hätte berühren können; auch sah er den nackten Leib des Gottes mit größter Deutlichkeit. Der Leib war nicht schön; denn die Haut war welk und aufgerissen; auch zeigten sich tiefe Wunden, von denen einige eiterten, und 73

    alles war blutüberströmt. Das Gesicht des Gottes aber sah er nicht, weil es zwischen den Armen hing. Wie er jedoch diesen Leib sah, der entstellt war und häßlich, wie jeder gefolterte Menschenleib, und wie er dennoch in jeder Wunde und in jeder Schürfung des Fleisches den Gott erkannte, ging er stöhnend in die Nacht, während hinter ihm über dem Gott die Fackeln erloschen.

    Zusammengekrümmt wie ein Tier vor Entsetzen lag er irgendwo ohne Schlaf zwischen den kahlen Wänden seiner Gemächer, an denen sich die Flamme der Öllampe spiegelte.
    Er lebte versunken im Grauen seiner Seele dahin, einsam unter den Menschen und undurchdringlich denen, die an seinem Auge vorüberzogen, ohne ihn zu bewegen, wie einer, der in Winternächten Menschen gehen sieht, schemenhaft im Lichte des Monds. Einsam irrten seine Hände über die Muster der Teppiche, verkrallten sich in die Kissen oder faßten zitternd den Kelch, in dem der Wein lag. Auch mochte es geschehen,

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