Aus den Papieren eines Wärters
Gefühl befallen, als 79
wäre ich in Gebiete gedrungen, die zu betreten dem Fremden untersagt sind, in denen jeder Schritt ein geheimes Gesetz verletzt. Ich irrte umher, von schweren Träumen getrieben, gehetzt von der Stadt, die jenen peinigte, der aus der Ferne gekommen war, bei ihr Zuflucht zu finden. Ich ahnte, daß sie sich selber genügte, denn sie war vollkommen und ohne Gnade. Sie stand unverändert seit Menschendenken und kein Haus verschwand oder kam hinzu. Die Gebäude waren unab-
änderlich und keiner Zeit unterworfen und die Gassen nicht winklig wie in den andern alten Städten, sondern nach festen Plänen gerade und gleichgerichtet, so daß sie ins Unendliche zu führen schienen, doch gaben sie keine Freiheit, denn die niedrigen Lauben zwangen die Menschen, sich gebückt innerhalb der Häuser zu bewegen, der Stadt unsichtbar und ihr so erträglich. Dann fiel es auf, wie vorsichtig sich die Menschen mit langsamen, schleichenden Schritten in den Gassen verhiel-ten. Sie waren verschlossen und für sich, wie die Stadt, in der sie lebten, und nur selten gelang es, ein kurzes und hastendes Gespräch über gleichgültige Dinge mit ihnen anzuknüpfen, und auch dann wichen sie aus, wie im geheimen Mißtrauen, sich dem Fremden zu offenbaren. Auch war es unmöglich, in ihre Häuser zu dringen, in denen sie unbeweglich im Dunkeln einander gegenüber saßen, mit weit geöffneten Augen und ohne zu sprechen. Unter ihnen trieben tief unter der Oberfläche die scheußlichsten Sekten ihr Wesen, ganz im Verborgenen und in einer Finsternis, vor der unser Schritt zurückweicht.
Niemand kannte den Hunger, es gab weder Arme noch Reiche, niemand war ohne Beschäftigung, doch drang auch nie das Lachen der Kinder an mein Ohr. Die Stadt umgab mich mit schweigenden Armen, die Augen ihres steinernen Gesichts waren leer. Nie vermochte ich das Dunkel aufzuhellen, das über ihr als eine dämmerhafte Menschenferne lag. Mein Leben war sinnlos, denn sie verwarf, was sie nicht benötigte, weil sie den Überfluß verachtete, unbeweglich auf ihrem Fels ruhend, 80
umspült vom grünen Fluß, der in unendlicher Bewegung vorüberglitt und nur im Frühling manchmal anschwoll, um die Häuser zu bedecken, die tief unter der Stadt an seinen Ufern lagen.
Wir vermögen nur in die Spiegel der Qual zu blicken, wenn wir Vorkehrungen treffen, die unserer Natur Rechnung tragen.
Wir brauchen immer wieder sichere Höhlen, in die wir uns zurückziehen können, und seien es auch nur jene des Schlafs; erst in den untersten Verliesen der Wirklichkeit werden uns auch die genommen. So war es vor allem mein Zimmer, dem ich vieles verdanke und in welchem ich immer wieder Zuflucht fand. Es lag jenseits des Flusses in der östlichen Vorstadt, die nicht zur Stadt gerechnet wurde. Es hatten sich dort Fremde angesiedelt, die jedoch keinen Verkehr untereinander pflegten, um der Verwaltung nicht aufzufallen. Viele von ihnen verschwanden im Verlauf der Jahre, ohne daß wir wußten, was mit ihnen geschehen war. Es gab zwar einige, die zu wissen meinten, daß sie von der Verwaltung im großen Gefängnis untergebracht worden seien, doch hörte ich nie Genaues über diese Gerüchte, wie auch niemand wußte, wo dieses Gefängnis gelegen sein konnte. Mein Zimmer befand sich im Dachstuhl eines Mietshauses, das sich von den übrigen Häusern der Vorstadt nicht unterschied. Die Wände waren zur Hälfte abgeschrägt und hoch, nur durch zwei Nischen im Norden und Osten unterbrochen, in denen die Fenster waren.
An der großen, abgeschrägten Westwand befand sich das Bett und beim Ofen eine Kochstelle, auch waren noch zwei Stühle und ein Tisch im Zimmer. An die Wände malte ich Bilder, die nicht sehr groß waren, doch bedeckten sie mit der Zeit die Mauern und die Decke vollständig. Auch der Kamin, der mitten durch mein Zimmer ging, war von oben bis unten mit Figuren bemalt. Ich stellte Szenen aus unsicheren Zeiten dar, besonders die großen Abenteuer der Menschheit. War kein 81
Platz mehr da für neue Bilder, fing ich an, jedes Bild von neuem durchzuarbeiten und zu verbessern. Auch kam es vor, daß ich in einer Art blinder Wut ein Bild wegkratzte, um es noch einmal zu gestalten, die wahnwitzige Beschäftigung meiner öden Stunden. Auf dem Tisch befand sich Papier, denn ich schrieb viel, meistens sinnlose Pamphlete gegen die Stadt.
Auch befand sich auf dem Tisch ein Leuchter aus Bronze (in einem Kehrichthaufen gefunden), in welchem eine Kerze brannte, denn auch am Tage
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