Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
im Auto von mutmaßlichen Mördern dreier georgischer Gebrauchtwagenhändler in der Nähe von Heppenheim. »Der Fall sprengt alles Dagewesene«, sagte ein Polizeisprecher aus Heilbronn damals.
Eine solch abgefeimte Serientäterin, die eine derartige Menge völlig verschiedener Taten begangen hatte, gab es in der Tat nie zuvor. Die Ermittler führten eine Reihenuntersuchung durch, bei der ab Anfang 2008 über achthundert Frauen überprüft wurden, die in Baden-Württemberg wegen Einbruchs oder Gewaltdelikten aufgefallen waren. Ohne Ergebnis.
»Die gesuchte Frau könnte möglicherweise auch wie ein Mann aussehen«, gab der Leiter der Sonderkommission zu bedenken. Alleine zur Aufklärung des Polizistinnenmordes wurde die ungewöhnlich hohe Belohnung von hunderttausend Euro ausgesetzt. Ab Januar 2009 erhöhte sich dieser Betrag nach Zusammenlegung aller Taten sogar auf unglaubliche dreihunderttausend Euro. Nun wurde klar: Die Ermittler standen mit dem Rücken an der Wand –wie sollten sie auch der Öffentlichkeit erklären, dass eine Superverbrecherin seit fünfzehn Jahren jedes nur vorstellbare Delikt vom Eierdiebstahl bis zum Mehrfachmord unerkannt durchführen konnte?
Im Gewühl der Ermittlungen fiel niemandem zweierlei auf: Dass erstens das Phantom eine sehr eigentümliche Vorliebe für bestimmte Regionen und eine unerklärliche Abneigung gegen andere Gebiete (beispielsweise Bayern) hatte und dass es zweitens insgesamt vierzig so verschiedene Taten begangen hatte, dass sie in dieser Brandbreite kaum vorstellbar waren, ohne dass es schon einmal zu einer Verhaftung hätte kommen müssen. Vom Einbruch in ein stillgelegtes Hallenbad über Autoschlüsseldiebstähle aus Wohnungen und Heroinkonsum bis zu Autodiebstählen, Tötungen, Einbrüchen und Überfällen reichte die Palette. Besonders verwirrend dabei war, dass die in mehreren Fällen geschnappten Mittäter nichts von einer Frau berichteten. Hatten sie Angst vor der Rache des Phantoms und wollten es deshalb nicht verpfeifen? Doch auch kein anderer Zeuge hatte das Phantom je gesehen, und Fingerabdrücke hatte es auch nie hinterlassen. Trug das Phantom Handschuhe? Warum nicht …
Als das Innsbrucker Institut für gerichtliche Medizin sich Teile der Erbsubstanz der Supertäterin genauer ansah, zeigte sich, dass darin DNA-Anteile vorlagen, die häufig in Osteuropa vorkommen. Doch auch dieser Hinweis führte in die Irre. Denn wenig später zeigte sich, dass das DNA-Phantom in Wahrheit eine ältere Dame war, die beim Zulieferer der Spuren-Abriebstäbchen in Oberfranken arbeitete.
Dort setzte die nette Frau auf aus China stammende Wattestäbchen von Hand einen Stopfen auf, der wiederum in ein Plastikröhrchen passte. Mit diesen Stäbchen können Spuren, zum Beispiel Sperma oder Blut, von einer Oberfläche abgerieben, an der Luft getrocknet und danach sicher verpackt und befördert werden. Wenn allerdings schon vorher die DNA der Mitarbeiterin daran klebt, scheint es später so, als handele es sich dabei um eine Person, die an der Tat beteiligt war.
Leider dauerte es vom ersten Verdacht, dass es sich um eine solche Verschmutzung aus der Herstellerfirma handeln könnte, bis zur Enttarnung des Phantoms fast ein Jahr. Begründung der Ermittler: Überlastung. Meine verblüffte Anmerkung, man könne doch – wie eigentlich in der Spurenkunde und auch in unserem Labor üblich – immer ein zusätzliches, unbenutztes Stäbchen mit untersuchen, sodass die darauf befindliche Spur eines »DNA-Phantoms« sofort auffallen würde, traf auf Ablehnung: Das sei viel zu teuer.
Der Phantom-Fall führte nicht nur zu ordentlichem politischem Ärger, sondern auch zu weltweiter Berühmtheit: Sogar in der Fernsehserie CSI New York wurde die Story unter dem Titel »Dead Reckoning« (»Das DNS-Phantom«) verewigt.
Zurück zu Hitlers Schädel. Was wäre, wenn bei der in Connecticut frisch untersuchten DNA von Hitlers Schädel, die angeblich von einer Frau stammte, ebenfalls eine andere Quelle vorläge? Dass Hitler genetisch keine Frau war, wissen wir nicht nur durch sein Aussehen, sondern auch von Zeugenaussagen seiner Haushälterin, die später (verschämt) über Hitlers Sexleben sprach. (In unserer Welt ist alles möglich. Sogar scheinbar selbstverständliche Annahmen möchten wir aus Erfahrung nicht als gegeben hinnehmen, bevor sie nicht bewiesen sind.)
Auch im Fall Hitler könnte ein Phantom eine Rolle spielen, nur dass es diesmal nicht bei der Wattestäbchenfirma arbeitet, sondern
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