Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Schäflein, treten sie einmal in seine Zelle, zerreißen könnte, wenn er nur wollte. Doch das ist Quatsch. Selbst der gefühlsärmste Täter hat sehr spezielle Vorlieben, Fantasien und Faxen-Vorstellungen. Gefährlich ist so ein Besuch daher nicht – oft genug aber erheiternd bis erhellend.
Zwei Beispiele. Einer der bekanntesten Serienmörder aus den USA, John Wayne Gacy, machte sich mit Journalisten den für einen Psychopathen naheliegenden Spaß, ihnen verschwörerisch zu »verraten«, wo die letzte seiner Leichen liegen sollte. Die beiden Rechercheure überlegten, ob sie das besser erst der Polizei melden unddann suchen gehen sollten oder umgekehrt. Sie entschieden sich fürs Suchen – ohne Polizei. Was sie fanden, war in der Tat eine Leiche. Bloß war es die einer toten Katze. Der Täter dürfte wochenlang Spaß an den dummen Gesichtern der Enttäuschten gehabt haben.
Nebensachen wie diese haben mich als Biologen dazu gebracht, bei Taten nicht nur auf objektive, sondern auch auf subjektive Spuren zu achten. So wundert es mich nicht mehr, dass Fritzl, anstatt mit Hängekopf zu schmachten und zu schmoren, lieber fernsieht, weil er etwas »zum Lachen« braucht.
Ich bin froh, dass sich jemand zu Fritzl durchgeschlichen hat. Denn jetzt weiß auch ich als Außenstehender, dass er kein mystisches Monster ist, sondern bloß ein weiterer vermurkster Mensch ohne jedes Gefühl, was ihm und anderen gut tun würde. Das Böse ist mal wieder ein blöder Witz im Meer des Leidens und der Leidenschaften. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Kolumne 3: Im Namen des Volkes
Die Augen des Angeklagten strahlen zuversichtlich. Ständig reicht er mir irgendein abgegriffenes, total zernudeltes Blatt aus seiner Aktenkopie herüber, das seiner Meinung nach zum jeweils im Gerichtssaal besprochenen Thema passt. Der Saal ist riesig und in tiefem Dunkelbraun getäfelt. Steckdosen gibt es nicht. Nur die Schriftführerin spielt in der Ecke Tetris. Sie hat wohl ein Verlängerungskabel.
»Im Knast habe ich ein selbst gedrehtes Video der Spuren«, meldet der Angeklagte in die irritierte Runde. Er meint wohl, dass es erstens normal ist, einen Tatort selbst zu filmen, und zweitens, dass seine Kamera im Gefängnis für ihn erreichbar wäre. Was er tatsächlich hat, sind seine Erinnerungen und die Akte eines Falles, der angeblich nicht seiner ist. Sonst nichts.
Drei Verteidiger mühen sich um ihn. Und, was selten ist: Sie können was.
»Warum soll ich meine Frau umgebracht haben?«, fragt der vermeintliche Täter.
»Na ja, sie lag nachts vor Ihrer Haustür.«
»Na und?«, sagt der Angeklagte. »Da kann sie jeder hingelegt haben.«
»Und Sie hatten eine Lebensversicherung abgeschlossen.«
»Wer hat das in der Ehe nicht? Auf Gegenseitigkeit!«, erwidert er.
»Was hat Ihre Frau eigentlich draußen gemacht?«
»Sie wollte zum Sport, wie jeden Dienstag.«
»Und vorher?«
»Hat sie ewig telefoniert und etwas gegessen.«
»Hatten Sie Streit?«
»Nie!«
Die Experten laufen auf. »So eine Kopfschwarte, die blutet meistens wirklich sehr stark«, sagt der erste. »Die riesige Blutlache, die Sie hier auf dem Foto sehen, ist allerdings eine statische. Da könnte man regelrecht daneben stehen, zwanzig Minuten lang, und zugucken – das wäre richtig langweilig. Die Lache würde nur immer größer werden, weil das Blut die Treppe herunterläuft. Sonst würde nichts passieren.« Die Schöffen heben die Augenbrauen.
»Wir hatten eine Kieferklemme«, sagt der Rettungsassistent. »Also, so nennen wir das. Es ist keine echte Klemme, sondern die Totenstarre im Kiefermuskel.« »Und wie steif darf ich mir das vorstellen?«, fragt einer der Anwälte mit milder Stimme und leicht abgespreizten Fingern. »Das ist subjektiv«, springt der Rechtsmediziner hinzu, »es kommt halt darauf an, wie viel Kraft Sie haben.«
Eine Verwandte des Opfers ist unerreichbar. Ihre Stellungnahme wird daher verlesen. »Heile Ehe ohne Streit?«, steht da. »Meine Schwester wollte sich scheiden lassen! Das hat sie uns allen lang und breit erzählt, fragen Sie nur herum. Sie hatte sogar schon einen neuen Partner, lebte aber noch bei ihrem Mann. Es war schon alles vorbereitet.« »Schwachsinn«, sagt der Angeklagte, »warum hätten wir uns denn dann eine neue Wohnung besorgt? Wir waren mitten im Umzug!« In der Tat: Sogar die Polizisten, die den Mann in der Tatnacht betreuten, sahen die Umzugskartons. Und die Tränen des Angeklagten. »Er wirkte echt verzweifelt«, sagt eine
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