Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
sie für etwas ganz Besonderes halten, fühlen sie sich vorübergehend wohl.
Viele dieser Menschen fallen schon dadurch auf, dass sie sich auffallend kleiden. Zahlreiche Frauen mit diesen Verhaltensweisen betonen ihre weiblichen Reize durch auffällig hübsche Kleidung, starkes Schminken und eine sehr gepflegte Frisur.Wichtiger als ihr Aussehen ist aber, dass sie stets – aus ihrer Sicht – dramatische, aufregende Dinge zu erzählen haben. Entweder berichten sie von ihren einzigartigen Fähigkeiten und Erlebnissen oder – falls das nicht genug Aufmerksamkeit erzeugt – sie klagen über schlimme Erkrankungen, die sie ständig quälen und einschränken.
Beides zusammen – also sowohl besondere Fähigkeiten und Erlebnisse als auch belastende Erkrankungen – bietet solchen Menschen doppelt die Möglichkeit, die Zuwendung und Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers zu erreichen. Nach meiner Erfahrung als Psychologin klagen solche Menschen häufig über immer wiederkehrende Schmerzen – beispielsweise Kopfoder Rückenschmerzen –, oder sie haben Probleme mit dem Kreislauf, dem Magen oder leiden an Angststörungen wie Panikattacken.
Unser Medium litt laut eigener Aussage an einer großen Furcht davor, vor die Tür zu gehen (Agoraphobie). Besonders beängstigend finden die meisten Betroffenen mit dieser seelischen Besonderheit Menschenmassen, Geschäfte und große Plätze. Meist trauen sie sich früher oder später kaum oder gar nicht mehr ohne Begleitung vor die Tür. Tun sie es dennoch, erleben sie Panik, bei denen ihr Herz rast, sie ein Beklemmungsgefühl in der Brust spüren, stark schwitzen und glauben, zu ersticken oder an einem Herzinfarkt zu sterben.
Nur ein Teil der Menschen, die unter der Furcht vor Orten und Plätzen leiden, haben gleichzeitig auch noch das übertriebene Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Doch im Fall unseres Mediums passt die angeblich übernatürliche Fähigkeit der Dame, wegen derer sie sich scheinbar selbstlos geradezu als Vermittlerin zwischen den Welten anbieten muss, sehr gut zu der von ihr selbst berichteten Erkrankung.
Menschen, die von sich selbst ehrlich überzeugt sind, Auserwählte mit besonderen, übersinnlichen Fähigkeiten zu sein, lassen sich nicht von einem schiefgelaufenen Test von ihrem Glauben abbringen. Ich habe kürzlich sogar bei einer öffentlichenDiskussion zu der völlig unsinnigen Behauptung, Menschen könnten sich nur von Licht ernähren, miterlebt, wie eine chinesische Vertreterin dieser Lebensweise zuerst in einem Nebensatz zugab, dass sie sich keineswegs nur von Licht, sondern auch von Obst und Gemüse ernähre. Diese Dame weigerte sich trotzdem bei genauerem Nachfragen von Mark, dazu klar Stellung zu nehmen. Sie erzählte stattdessen alles Mögliche – nur die Frage, was sie pro Woche an Lebensmitteln auf normalem Wege zu sich nimmt, beantwortete sie um keinen Preis. Der Grund: Die Frau ist fest davon überzeugt, sie ernähre sich »fast« ausschließlich beziehungsweise »hauptsächlich« von Licht – und das reicht ihr, um ihre Überzeugung zu behalten.
Menschen, die mithilfe abergläubischer Überzeugungen versuchen, etwas Besonderes zu sein, ziehen einen so starken (meist seelischen, manchmal auch finanziellen) Gewinn für sich daraus, dass weder Vernunft noch prüfbare Gegenbeweise sie von ihrem Glauben abbringen können.
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In der Frankfurter Rundschau erscheint alle paar Wochen eine Kolumne, die intern »Mord der Woche« heißt, auch wenn es nicht immer um Tötungen geht. Ich habe Ihnen einige Texte aus dieser Serie herausgesucht, weil ich dort gezwungen bin, sehr knapp auf den Punkt zu kommen. Den Fall Josef Fritzl hat meine Frau in diesem Buch bereits ausführlich beschrieben (vgl. S. 188 ff.), den Fall der zwei getöteten Kinder in Bodenfelde kennen Sie wahrscheinlich aus der Presse; es folgen zwei Fälle, die zwar von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden sind, die nichtsdestotrotz sehr spannend waren. Zuletzt dann noch ein Text, in dem wir das Verfahren gegen einen total uneinsichtigen, durchaus freundlichen Pädophilen und einen als Kind sexuell missbrauchten Serienmörder schildern. Er entstand unter wesentlicher Mitwirkung von Lydia (als Vorwort für ein Buch von Petra Klages). Mit dem darin enthaltenen Blickwinkel darauf, dass Täter oft auch gleichzeitig Opfer sind, soll dieses Buch enden. Ich hoffe, dass wir Sie davon überzeugen können, dass bei Kriminalfällen, anders als in den meisten Krimis, letztlich alle Opfer
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