Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
aus einer dunklen Höhle, sondern oft genug in die Gesellschaft integrierte Menschen, die von außen durch nichts von ihren Nachbarn unterscheidbar waren. Nicht, weil sie sich perfekt tarnen, sondern weil große Anteile ihres Erwachsenenlebens eben absolut normal sind.
Das ist eine sehr unbequeme Einsicht. Denn wer möchte sich schon vorstellen, dass der eigene Mann, Bruder, Vater oder beste Freund eine dunkle Seite in sich tragen kann, die sich der Vorstellungskraft vollkommen entzieht. Es gehört schließlich zum Wesen des Menschen, seine Umgebung als halbwegs stabil und einschätzbar erleben zu wollen – wie anders könnten wir unsere alltäglichen Aufgaben sonst erfüllen? Dazu gehört aber auch der Glaube daran, dass es auf der Welt »gute« und »böse« Menschen gibt – und dass man selbst und die nächsten Angehörigen zu den Guten gehören.
Diese Grundüberzeugung wird von den Tätern fast immer ins Wanken gebracht. Am Ausgangspunkt der Geschehnisse steht fast immer ein »normales«, wenn auch vernachlässigtes Kind, das Zuneigung und Geborgenheit sucht. Irgendwann lernt es sexuelle Übergriffe, manchmal auch Gewalt und Grausamkeit als selbstverständliche und in einen Kontext von Zuwendung und Aufmerksamkeit eingebettete Erlebnisse kennen. Das Problem daran ist – auch vor Gericht –, dass vieles von dem, was die Täter aus ihrer Kindheit berichten, den meisten Menschen völlig unvorstellbar erscheint. Doch die Missbrauchstaten geschehen nachweislich und oft. Es gibt dazu überreichlich Bild- und Filmmaterial auch aus Westeuropa, und das nicht nur, weil die Daten immer leichterübermittelbar werden, sondern auch, weil es eben so oft geschieht. Dass aus einigen dieser Opfer später selbst Täter – welcher Art auch immer – werden, ist ein eigentlich seit Jahrhunderten bekanntes Phänomen. Die Schäden in der Seele dieser Menschen zeigen sich in ihren zerstörten Lebensläufen, in denen auch Liebe und Zuneigung später nicht mehr so viel heilen können, wie man es hoffen würde.
Und noch etwas wird in den Lebensgeschichten vieler Täter deutlich: Sie zeigen in manchen Lebensphasen überhaupt keine ihrer jeweiligen Neigung entsprechenden Verhaltensweisen.
Zudem gibt es viele Menschen, die den Tätern vergleichbare sexuelle Fantasien haben, ohne diese jemals umzusetzen. Ein Leben ohne Umsetzung der abweichenden sexuellen Fantasien ist also durchaus möglich. In jedem einzelnen Fall entscheiden sich zumindest die Serientäter für das, was sie tun – und diese getroffenen Entscheidungen werden durch nichts gerechtfertigt. Dennoch begünstigen die Missbrauchserfahrungen stark die Entwicklung von Persönlichkeitseigenschaften, die zu Taten mit weiteren Opfern führen – allem voran die sexuell abweichenden Fantasien in Kombination mit dem fehlenden Mitgefühl den Opfern gegenüber. Schön ist das nicht, und es ärgert uns, weil es oft so unabänderlich und unsinnig erscheint. Und doch sehen wir vor Gericht immer und immer wieder dieselben Muster von Vernachlässigung, Missbrauch und Täterwerdung.
Was nicht nur wir, sondern auch therapierte Täter sich wünschen, ist, diese tödlichen Gesetzmäßigkeiten anzunehmen und auffällige Verhaltensweisen eines Kindes darum viel deutlicher wahrzunehmen. Wünschenswert wäre, dass jeder, der sich die Schilderungen der Täter vor Augen führt, nicht untätig bleibt, wenn ein Kind sonderbar ist, sondern versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen und sich eventuell Rat von Beratungsstellen zu holen.
Jeder Einzelne kann sich dafür entscheiden, hinzusehen oder wegzuschauen. Was die Folgen des Wegschauens im Falle von Kindesmissbrauch und -vernachlässigung sein können, das demonstrierendie späteren, wahnsinnigen Taten eindrucksvoll. Es lohnt sich daher, im Täter auch den Opferanteil zu sehen. Nicht aus Mitleid, und auch nicht aus der Sicht von Schuld und Sühne – sondern ganz einfach, damit es nicht noch mehr Opfer gibt.
Denn glauben Sie uns: Es gibt in dem ewigen Spiel aus Hass und Angst und Mord und Leid nur eines: eine höhere oder niedrigere Anzahl von Opfern.
Literaturhinweise und Quellen
Dies ist eine unvollständige Literatur-Liste: Sie dient nur dazu, die direkt mit dem Text zusammenhängenden Quellen erkennbar (und prüfbar) zu machen. Die Vornamen der Autoren haben wir angegeben, sofern wir sie herauskriegen konnten. Es gibt noch tonnenweise weiterführende Literatur.
Bitte nicht wundern: Bei Zeitschriften-Artikeln sind die Namen der
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