Aus der Hölle zurück
werden.
Bei seinem Besuch im Mai 1998 enthüllte er mit seinem Kameraden Zbigniew Kolakowski am Endpunkt des Regensburger Todesmarsches in Laufen an der Salzach eine Gedenktafel: »Ein Mensch, der vergißt, vergißt sich selbst!«
Tadeusz Sobolewicz hat mit seinem Leben und mit seinem Buch einen Weg gegen das Vergessen gezeigt.
Vorgeschichte
Das neue Schuljahr 1939 / 40 begann nicht planmäßig an meinem Gymnasium in Poznań (Posen). Am 1 . September überfielen Hitlers Truppen Polen, und damit brachen der Frieden und die Möglichkeit der weiteren Ausbildung für mich zusammen. Damals stellte ich mir viele Fragen: War der Krieg nötig? Hatten die Polen irgend jemanden bedroht? Hatte Polen den Krieg gewollt? Waren die Polen gezwungen, sich zu verteidigen? Und noch eine Frage stellte sich mir: Wäre das deutsche Volk, wenn es im Osten von den Polen und im Westen von den Franzosen angegriffen worden wäre, auch gezwungen gewesen, sich zu verteidigen?
Hitler und die Nationalsozialisten hatten einen grausamen Krieg ausgelöst. Und jeder Krieg ist ein Unglück für alle Menschen. Ich war gerade sechzehn. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Von der Evakuierung aus Poznań waren alle Familien der polnischen Militärangehörigen betroffen. Mein Vater war Offizier. Seit Tagen war er nicht zu Hause gewesen. Wie ich später erfuhr, war er der Versorgungschef der Armee »Poznań«. Wir bekamen die Anweisung, uns bei einem großen Reisebus einzufinden.
Das Notwendigste, einige Bündel und kleine Koffer, das war alles, was wir mitnehmen konnten. Möbel, Gemälde, Teppiche, das Klavier – nahezu alles, was meine Eltern erworben hatten – mußten zurückbleiben. Wir schlossen uns den Evakuierten an. Der überfüllte Bus erreichte die Chaussee nach Osten. Das Ziel war Warschau.
Während der Fahrt wurden wir mehrmals von Tieffliegern der Luftwaffe beschossen. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten erreichten wir schließlich das Militärdepot in Warschau, aber dort verkündeten die Sirenen gerade Fliegeralarm. Wir wurden angewiesen, uns in die Luftschutzgräben zu begeben. Dort erlebte ich zusammen mit meiner Mutter und meinem Bruder zum ersten Mal die Hölle: einen Luftangriff. Die in kurzen Abständen niedergehenden Bomben schlugen dicht neben unserem Graben ein. Sie trafen uns glücklicherweise nicht. Nur 15 bis 20 m von uns entfernt ließen sie riesige Erdfontänen aufspritzen. Mehrere Leute in anderen Gräben wurden durch Splitter verwundet, zwei junge Mädchen von hereinbrechenden Erdmassen begraben. Kaum hatten wir den Schock dieses ersten Angriffs überwunden, wurde schon der nächste Alarm gegeben. Diesmal galt es einem anderen Teil der Stadt.
Am Abend des dritten Tages bekamen wir den Befehl, die Evakuierung mit PKW s in Richtung Lublin fortzusetzen. Wir fuhren durch die Nacht hindurch. Zahlreiche Fahrzeuge fuhren in dieselbe Richtung. Am Rande der Chaussee marschierten Soldaten, die einen nach Westen, die anderen nach Osten. Von Zeit zu Zeit wurde die Straße von Zivilisten verstopft, die auf Fuhrwerken, Handwagen oder kleinen Rollwagen ihr Hab und Gut mit sich schleppten. Die Fahrzeuge fuhren mit abgedunkelten Scheinwerfern, da jederzeit ein feindlicher Fliegerangriff zu erwarten war. Im Morgengrauen tauchten zwei kleine Gruppen von Flugzeugen mit schwarzen Balkenkreuzen über uns auf und schossen auf alles, was sich auf der Straße bewegte. Alle gerieten in Panik. Unser Wagen landete durch das unter den Flüchtlingen auf der Straße ausbrechende Chaos im Graben. Als die Flugzeuge endlich verschwunden waren, gelang es uns, den Wagen auf die Straße zurückzuschieben und die Reise fortzusetzen. Wir holten die anderen Wagen ein. In Lublin erfuhr der Befehlshaber unserer Kolonne, daß wir Lwow (Lemberg) umgehen und in Richtung Tarnopol fahren sollten. Aus der Ferne hörten wir Geschützdonner. In der Nähe von Lwow sahen wir über der Stadt die riesige Rauchwolke der von Bomben getroffenen Spiritusfabrik.
Trotz unserer Erschöpfung – wir hatten fast gar nicht geschlafen – setzten wir die Fahrt fort. Auf Bemühen des Kommandeurs der Kolonne wurden wir mit Benzin versorgt. Am Abend erreichten wir Tarnopol. Es war der sechste oder siebte Kriegstag. In der Umgebung des Militärversorgungslagers wurden uns Quartiere zugewiesen. In der Stadt war es zunächst verhältnismäßig ruhig, aber um den 15 . September herum erreichten uns Gerüchte, daß das Gebiet, in dem wir uns aufhielten, von den Russen besetzt werden
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