Aus der Tiefe: Odyssey 2 (German Edition)

ausgestrecktem Arm eine Furche durch die pulverisierte Masse zog, die einmal ein solider keramischer Werkstoff gewesen war. Er tastete blindlings nach seinen vermissten Soldaten. Dann schloss die Hand sich um eine vertraute Form, und er bekam den Haken an der Schulter des Manns zu fassen. Er rollte sich herum und zog mit aller Kraft, die sein Anzug ihm verlieh.
    Der Mann kam frei. Dann grunzte Sean, als er einen plötzlichen Gegenzug verspürte. Er stocherte weiter in der pulverisierten Keramik herum und packte eine Kante, die er dann als Hebel nutzte, um noch heftiger zu ziehen.
    Schließlich wurden seine Anstrengungen von Erfolg gekrönt. Zuerst kam der Helm eines Soldaten zum Vorschein, und dann der Oberkörper. Sean ließ nicht locker und erkannte dann auch die Ursache für das zusätzliche Gewicht: Der Soldat, an dem er zog, hatte einen Kameraden im eisernen Griff.
    Nachdem er schließlich beide aus dem Loch herausgezogen hatte, stellte Sean fest, dass der Unterleib des ersten Manns glatt abgeschert worden war – eine Verwundung, bei der nicht einmal die moderne Rüstung mit ihren medizinischen Versorgungsmöglichkeiten noch etwas auszurichten vermochte.
    »Verdammt«, sagte er zischend und verband sich mit der Rüstung des zweiten Mannes. »Gottverdammt, Simon, sind Sie da drin noch am Leben?«
    Ein Stöhnen war alles, was er hörte; doch das genügte, um seine Anstrengungen zu verdoppeln. Gleichzeitig schaltete er auf einen Breitband-Kanal.
    »Leitstelle, hier Bravo Actual!«
    »Hier Leitstelle. Bravo Actual, kommen«, meldete sich Major Brinks sofort. Er klang ruhig und professionell.
    »Ich melde ein trojanisches Pferd!«
    »Wiederholen Sie, Bravo Actual.«
    »Trojanisches Pferd«, bestätigte Sean. Dann zog er Corporal Simon Bell aus dem Schutt, rollte ihn herum und entlud sein Pistolenmagazin in die Grube, die die Drasins ausgehoben hatten. Luftunterstützung und medizinische Rettungsteams waren auf dem Weg.
    Aber hoffentlich nicht in dieser Reihenfolge.
    Terrestrisches Einsatzkommando
    Colonel Reed sah fluchend auf die taktische Anzeige. Nur um überhaupt etwas zu tun, wenn er sonst schon kaum etwas tun konnte.
    »Was soll ›Trojanisches Pferd‹ bedeuten?«, fragte Ithan Chans verwirrt.
    »Trojanisches Pferd ist eine Codebezeichnung. Sie bedeutet, dass die Einheit überrannt wurde«, antwortete er. »Feindliche Einheiten sind direkt bei den eigenen Leuten. Wir können keinen Artilleriebeschuss riskieren, weil wir sonst auch unsere Männer treffen würden. Bermont hat aber Luftunterstützung und medizinische Rettungstrupps sowie alle entbehrlichen Verstärkungen angefordert.«
    »Dann ist das also schlecht?«, fragte sie. Ihr Tonfall verriet aber, dass sie das auch nur als rein rhetorische Frage betrachtete.
    Trotzdem gab er ihr eine Antwort.
    »Das ist sehr schlecht. Im Grunde genommen hat Bermont damit Folgendes gesagt: Wenn er nicht bald die Kontrolle über sein Operationsgebiet zurückerlangt, sollen wir den Bereich unter Feuer nehmen, auch wenn er und seine Männer noch dort sind.«
    »Weshalb sollte er das wohl tun?«
    »Weil er ein Soldat ist, Ithan«, antwortete Reed ihr. »Und weil er weiß, dass wir alle sterben müssen, wenn er die Kontrolle über das Gebiet nicht wiedererlangt«, fügte er mit einem Achselzucken hinzu.
    Er beugte sich vor und öffnete einen Befehlskanal. »Shuttle drei, ich habe einen Auftrag für Sie.«
    »Verstanden, Leitstelle. Drei ist in Bereitschaft.«
    »Rücken Sie zum Operationsgebiet Bravo, Code Zulu vor. Setzen Sie die Bodentruppen ab, und halten Sie sich bereit, Luftunterstützung zu geben. Verstanden?«
    » Code Zulu, Operationsgebiet Bravo. Verstanden!«
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Milla.
    »Nichts. Wir warten, bis irgendetwas passiert. Mehr können wir im Moment nicht tun. Es hängt jetzt alles von den Männern am Boden ab.«
    Dass im Schlamm des Schlachtfelds über Sieg oder Niederlage entschieden wurde, zog sich wie ein roter Faden durch die Kriegsgeschichte – obwohl Vertreter der Luftüberlegenheits-Strategie das vielleicht anders sehen mochten.

 
    NACS Odyssey,
    unkartiertes Dyson-Konstrukt
    Nachdem der Kapitän die Brücke verlassen hatte und hoffentlich im Tiefschlaf die Erholung bekam, die er brauchte, um den weiteren Ereignissen gewachsen zu sein, hatte Roberts das Kommando. Es oblag ihm, die Mannschaft zu führen, während sie den Stern umflogen, der sich in der Mitte des Dyson-Schwarms verbarg.
    »Commander, wir haben ein