Aus heiterem Himmel: Ein Südstaaten-Krimi von TrueBlood-Autorin Charlaine Harris (Aurora Teagarden) (German Edition)
stand schon, die grünen Gurte gespannt. An der Vorrichtung befanden sich mehrere Hebel. Welcher war wohl der, mit dem man die Gurte freigab, damit der Sarg in die Grube gesenkt werden konnte? Nein, ich hatte ganz sicher nicht vor, das auszuprobieren. Fasziniert von der Komplexität des Mechanismus blieb ich noch eine Weile. Dann fiel mir wieder ein, dass mit seiner Hilfe hier bald die Leiche eines Mannes in einem Erdloch verschwinden würde, den ich persönlich gekannt hatte. Rot vor Scham zog ich mich wieder zu Early Lawrence zurück.
Wo ich erneut in der Betrachtung des Engels versank. Was wollte dieses ruhige Gesicht uns sagen? Von welchem Bildhauer stammte die Statue? Hatte der Mann damals seine Engel en masse hergestellt, oder war jeder einzelne so gestaltet worden, wie sein Auftraggeber es wünschte? Die Flügel hatten ihm Freude bereitet, das sah ich genau, sie waren voll und wunderschön, so federleicht, wie Stein überhaupt nur sein kann.
Danach gingen mir Gedanken durch die Kopf, die wohl jeder denkt, der auf einem Friedhof sitzt. Was würden sie sagen, all diese toten Lawrencianer, wenn sie sehen könnten, wie sich ihre Stadt entwickelt hatte? Wenn sie über den Horizont bis zu den Ausläufern von Atlanta spähen könnten, die immer bedrohlicher näherrückten? Was würde meine Großmutter mütterlicherseits, an die ich mich noch schwach erinnerte, zu den beruflichen Erfolgen ihrer Tochter sagen? Was zu dem merkwürdigen Leben, das ihre Enkelin führte? Meine Großmutter lag nicht weit von der Urgroßmutter entfernt, aber innerhalb der Acht des Fahrweges.
Unsere Familie zeichnete sich nicht gerade durch Fruchtbarkeit aus. Ich war das einzige Kind eines einzigen Kindes, und laut Aussage des Spezialisten würde ich noch nicht einmal das eine Kind bekommen können, das meiner Mutter und Großmutter vergönnt gewesen war. Das wusste ich jetzt seit zwei Monaten, aber manchmal musste ich beim Gedanken daran immer noch weinen. Das ging so nicht weiter, ich musste dringend darüber hinwegkommen! So fing ich an, meine Atemzüge zu zählen, zwang mich zum gleichmäßigen, langsamen Atmen. Selbstmitleid war eine Droge, und ich durfte auf keinen Fall davon abhängig werden. Mit dem Selbstmitleid verhält es sich wie mit Schokolade: Je älter man wird, desto weniger davon kann man sich leisten.
Ich hörte ein Rotkehlchen, dann eine Spottdrossel. Bei den blühenden Sträuchern und den frühen Osterglocken, die einige Grabsteine zierten, waren Bienen eifrig summend am Werk. Hier und da standen noch ein paar verwelkte Weihnachtssterne in ihren mit rotem Krepp geschmückten Töpfen, aber die meisten Leute pflegten ihre Gräber und hatten den Winterschmuck längst entfernt.
Wie friedlich es hier war. Ich nahm meine Armbanduhr ab und ließ sie in meine Handtasche fallen. Nach einer Weile waren meine Tränen getrocknet, meine Sorgen traten in den Hintergrund, und ich durfte meine Gedanken schweifen lassen. Fast schien es mir, als hätten die unzähligen religiösen Zeremonien, die auf diesem Friedhof abgehalten worden waren, den Boden nicht mit Jammer und Leid getränkt, sondern mit einer ruhigen Distanziertheit und Gedanken an die Ewigkeit. Von Zeit zu Zeit fuhr draußen ein Auto vorbei. Shady Rest lag gefährlich nahe an einem dieser neuen Wohnprojekte.
Ich hatte Frieden oder doch zumindest innere Ruhe gefunden, als ich endlich aufstand.
Nein, Charlie Gorman wäre nichts für mich gewesen, selbst wenn man ihn mir auf dem Silbertablett serviert hätte.
Für den Rückweg zu meinem Auto ließ ich mir Zeit. Ich schlenderte an den Grabsteinen vorbei und las mir die eine oder andere Aufschrift durch. Ich fing an, ernsthaft nachzudenken. Anscheinend hatte ich die ganze Zeit die falschen Fragen gestellt. Ich hatte mich gefragt, warumall diese bizarren Dinge passierten und wersie getan haben könnte, aber nicht, wiesie bewerkstelligt worden waren.
Alle Ereignisse der letzten Wochen hingen zusammen, davon war ich fest überzeugt. Das galt für die Morde an Jack Burns und Beverly Rillington ebenso wie für die schweren Angriffe auf Shelby und Arthur Smith.
Jack Burns war aus einem Flugzeug geworfen worden, der Mörder konnte also fliegen. Man hatte ihn durch einen Schlag auf den Kopf getötet, das wusste ich aus der Abendausgabe der Lokalzeitung. Auch Beverly Rillington war nach Schlägen auf den Kopf gestorben. Der Mörder war also stark und hatte keine Angst davor, direkte Gewalt anzuwenden. Was Shelby betraf, so hatte
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