Aus heiterem Himmel (German Edition)
Schmerz. Die üblichen Geräusche und Gerüche einer Intensivstation.
Doch hier drinnen gab es nur den bewusstlosen Ty und sie, Nicole, die sich fragte, was mit ihrem Leben gerade geschah. Vorsichtig berührte sie Tys Kopfverband. “Du hast mir einen Schrecken eingejagt, Ty Patrick O’Grady”, flüsterte sie.
“Aus Dublin”, fügte er in seinem irischen Akzent hinzu, ohne die Augen zu öffnen.
Hatte er wirklich gesprochen, oder bildete sie sich das nur ein? “Ty?”
“Du machst mir auch Angst.” Seine Stimme klang heiser und etwas schleppend wegen der Schmerzmittel, die man ihm verabreicht hatte. “Du und auch meine Schwester. Ich habe eine Schwester, habe ich das schon erzählt?”
“Nein.” Sie hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht hysterisch loszulachen vor Erleichterung. “Ich weiß eigentlich fast gar nichts über dich.”
“Sie hat mich über das Internet aufgespürt und will mich kennenlernen. Alle wollen mich kennenlernen.” Er nuschelte ein bisschen, aber der irische Akzent war unverkennbar herauszuhören. Ty lächelte, behielt die Augen aber geschlossen. “Du begehrst mich auch, stimmt’s, Frau Doktor? Genauso sehr wie ich dich. Gib es einfach zu.”
Ihr Herz schlug schneller. “Halt lieber den Mund, du großer Dummkopf, du stehst unter Medikamenten.”
“Kommt es mir deshalb so vor, als würde mein Körper von meinem Kopf wegschweben? Dein Kopf schwebt auch, Frau Doktor. Du bist so hübsch. Fast wünschte ich mir, ich könnte mal an einem Ort bleiben.”
“Bitte, bitte sprich nicht weiter. Sonst sagst du noch etwas, das du später bereust.” Einerseits wollte sie weglaufen, gleichzeitig wollte sie, dass er weitersprach.
“Du willst mich doch auch, das weiß ich.”
Wie konnte dieser Mann bloß so hinreißend sein, obwohl er blass und fast noch bewusstlos im Krankenhausbett lag? “Ty.”
“Vielleicht ist dieses Begehren auch nur einseitig.” Er stieß einen tiefen Seufzer aus. “Ihr bringt mich ganz durcheinander. Alle drei.”
Alle drei? Offenbar ging es ihm doch schlechter, als sie gedacht hatte. Oder lag das an den Medikamenten? Sie beugte sich zu ihm und überprüfte seine Pupillen.
Ty musste lächeln. “Alles in Ordnung mit mir, Darling. Trotzdem nett von dir, dass du dir Sorgen machst.”
Nicole setzte sich wieder gerade hin. “Hast du mit deiner Schwester schon gesprochen?”
“Sie sehnt sich nach einer Familie, aber wer braucht so etwas? Ich nicht. Schon als Kind hab ich mich allein durchgeschlagen.”
Nicole saß bewegungslos da und wehrte sich gegen das tiefe Mitgefühl, das sie empfand. “Das sind zwei, Ty. Deine Schwester und ich.”
“Aber da ist auch noch sie.”
“Wer?” Wenn er jetzt verkündete, dass es noch eine Ehefrau gäbe, würde sie ihn umbringen.
“Meine Mutter. Sie hat mich nie gewollt. Das habe ich dir wahrscheinlich auch noch nicht gesagt.”
Seufzend legte sie ihm eine Hand auf die Brust. “Nein”, flüsterte sie, und ihre Stimme klang etwas gepresst.
“Ich habe einen schlechten Charakter. Das hätte ich dir vielleicht eher sagen sollen, aber ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich habe schon viele schlimme Dinge getan. Ich habe gestohlen, gelogen, betrogen. Regt dich das jetzt auf?”
“Ty, du musst dich ausruhen. Bitte.” Nicole war den Tränen nahe und hätte ihn am liebsten in die Arme gezogen.
“Das kann ich nicht. In meinem Schädel hämmert es grauenhaft. Ich wusste gar nicht, dass ich eine Schwester habe.”
“Das hast du mir schon erzählt.” Sie wollte das alles nicht hören, denn wie sollte sie Abstand zu ihm halten, wenn sie alles über ihn wusste? “Bitte, Ty, ich will nicht …”
“Ich will sie nicht mögen.”
Nach dieser Aussage schwieg Ty so lange, dass Nicole schon dachte, er wäre eingeschlafen. Still saß sie da und sah ihn an. Dass er eine schlimme Kindheit gehabt hatte, hatte sie bereits vermutet, aber dass es so schlimm gewesen war, bestürzte sie. Sie strich ihm über den Arm und die Wange und wünschte, sie könnte seinen inneren Schmerz mildern.
“Hast du Mitleid mit mir, Frau Doktor? Wenn ja, dann werde ich mich auf der Stelle auf dich stürzen und dich küssen, bis dir das Mitleid vergeht.”
“Du stürzt dich auf niemanden, dazu bist du im Moment gar nicht in der Lage.”
“Ich versuch es trotzdem.” Damit streckte er die Hand nach ihr aus. Doch er griff ins Leere. “Mist.”
“Lieg ganz still.” Sie strich ihm über das blasse Gesicht.
“Ja.” Schweiß trat ihm
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