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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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großer Klarheit ( 2 .) riesige Probleme auf mich zuwälzen.
    Kann ich überhaupt so ein Magisterding wuppen? Habe ich mich nicht bisher eher so durchgemogelt durchs Studium? Kommt jetzt alles raus? Wer sagt mir, dass ich nicht kolossal scheitere? Wie schaffen wir das mit den zwei Kindern? Und Geld? Wo soll das noch mal herkommen? Kann ich mein Umfeld in München reanimieren? Kommilitonen, die mir weiterhelfen (warum sollten sie?), ein Dozent, der mir wohlgesinnt ist (der hat doch eh nie Zeit) und dann gleich mal eine Verlängerung beantragen (Warum dauert bei Ihnen eigentlich alles so lang, Herr Cadeggianini?) und die Eltern nach Kohle anpumpen (schon wieder). Ich panikte so vor mich hin, Wassermelone tropfte, draußen knatterten Motorini. Dann sagte Viola: »Was hältst du davon, wenn wir noch mal ins Ausland gehen?«
    Ich wollte die Wassermelonenschale auf dem Teller ablegen, daraus wurde ein Pfeffern. Ja, ich war ungehalten. Wie konnte Viola nur so trampelig sein? Was sollte so ein Vorschlag? Komplett unrealisierbar, hirnverbrannt, wahnwitzig, hätte von Hermann kommen können, dem Terrorkuchen.
    Wir sind doch schon da, wollte ich brüllen, im Ausland! Es ist doch alles schon kompliziert genug. Zusätzlich hätte ich die Zähne fletschen, den Kopf recken können.
    »Meine Magisterarbeit? Die Bibliotheken? Mein Professor, der mich jeden Monat sehen will, mit Arbeitsfortschritten? Was ist bitteschön damit?« Ich war in Fahrt: fuchtig, in Rage, auf Angriff. Gleich hätte ich angehoben und die Ach-so-tolle-geht-doch-alles-wunderbar-Mentalität in Grund und Boden getrampelt. Meine Finger schüttelten noch eben letzte Wassermelonentropfen ab. So. Fertig. Luftholen und …
    Da hörte ich ihn stampfen. Wieder hatte er seine Elefanten mitgebracht, wie damals, als es darum gegangen war, mit zwei Kindern und ohne Geld nach Italien aufzubrechen, wie damals, als wir mit Gianna zum Wildcampen nach Finnland losgezogen waren, wie damals, als ich gegen den Willen meines zukünftigen Schwiegervaters mit Viola zusammengezogen war.
    Ich wusste ganz genau, was er sagen würde. Er würde es brüllen und er würde wieder mal nicht mit sich reden lassen. Das Stampfen kam immer näher. CYL -Agent Hannibal. Er würde sagen: »Das ist eure letzte Chance.«
    Mir schwirrte der Kopf.
    Hannibal pöbelte.
    Viola schubste.
    Ich fühlte mich, als ob ich versuchte, über ein gigantisches Wasserbett zu rennen. Gefedert und beflügelt, unverletzbar und unwirklich: mit der Energie der Hysterie.
    Und los.
    »Wohin?«, fragte Viola.
    Und dann saßen wir mit Wassermelonenhänden vor unserem Computer. Es war lange vor Google maps, sogar noch vor dem Internetanschluss zu Hause. Wir legten eine CD -Rom ein, den Encarta Weltatlas, das Laufwerk röhrte, wir scrollten uns durch Europa, total unverbindlich.
    »Belgien?«
    »Aber wohin da?«
    »Brüssel.«
    »Ach, nee.«
    »Was hältst du von Madrid? Da wär’s wärmer.«
    »Kein Meer.«
    »Und Portugal?«
    »Ja, Lissabon ist super.«
    »Da gibt’s keine Billigflieger hin. Ich muss doch ein paar Mal zum Professor nach München.«
    »Englisch wäre auch toll.«
    »Dann London.«
    »Mit den Kindern? Zu groß. Gibt’s da was in der Nähe?«
    »Wenn wir uns direkt neben Stansted einmieten?«
    »Aber ist es da schön?«
    Natürlich habe ich noch viele Einwände vorgebracht. Aber meine Verve war gebrochen. Ich spielte noch ein wenig den Bedenkenträger, polierte Zweifel, wienerte Vorbehalte. Und wieder bin ich derjenige von uns beiden, der auf dem Schwimmbadsprungturm rumsteht, zögert und zaudert, zu zittern anfängt. Erst vor Angst, dann vor Kälte. Wenn ich hängen bleibe? Wenn ich zu weit springe? Mein Körper den Beckenrand trifft, auf den grau gemörtelten Betonrand klatscht? Was, wenn nach meinem Absprung, während ich in der Luft bin, das Wasser total schnell abgelassen wird? Was dann? Und warum, verdammt nochmal, ist es hier eigentlich so kalt?
     
    Bei uns herrscht Arbeitsteilung in der Familie. Auch bei Entscheidungen. Ich bin der Kehrseitenerwäger, der Nörgler, der Eventualitätenbedenker. Viola ist anders. Sie ist diejenige, die schubst. Die Rollen sind fest verteilt. Das fällt vor allem immer dann auf, wenn jemand ausschert. Wenn Viola plötzlich Einwände hat oder wenn ich vorpresche. Dann schaut der andere verdutzt, eiert ein wenig in der Rolle des anderen herum. Und irgendwann lachen wir.
    Die Frage nach der richtigen Entscheidung lähmt. Und Stillstand ist die Hölle, nicht Veränderung,

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