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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Chance.«
    Dieser Satz – und das muss sich dieser Hannibal auch mal gesagt sein lassen – ist nicht immer goldrichtig. Selbst wenn man danach nicht mehr viel diskutieren will und kann – Ende der Diskussion bedeutet eben nicht zwangsläufig, dass man recht bekommt. »Wir wollen doch noch mal weg.« Die Kommissionsfuzzis konterten mit unverhohlen unverständigen Ja-und-was-haben-bitte-wir-damit-zu-tun?-Gesichtern. Ihnen war klar: Diesen Kandidaten kann man einfach aussitzen.
    Sie fragten jetzt gar nichts mehr.
    Ich ergänzte: »Bevor Gianna in die Schule kommt.«
    Sie saßen.
    Dann fragte ich, ob ich eines dieser kleinen Fruchtsaftfläschchen, die da vor mir standen, öffnen dürfte. Jetzt schauten sie irritiert. Oder waren sie fassungslos? War da nicht sogar eine Spur von Ekel in ihren Gesichtern?
    Ja, das dürfte ich tun. Ich griff zu, schenkte ein, setzte an, schluckte. Dann meinte einer aus der Kommission: »Das hat bisher noch nie jemand gefragt.«
     
    Die dottergelbe Dose lugt zwischen den Grashalmen heraus wie ein Osterei. Steht aufrecht da, provozierend, zum Abschuss bereit, ein Stück Jugend auf dem Elfmeterpunkt. Niemand, der irgendwann auch mal nur ansatzweise jung gewesen ist, kann eine solche Versuchung einfach ignorieren. Besonders nicht jemand wie ich, der sich ständig bedroht fühlt, von seinen Lebensumständen in den Vorruhestand gezwungen zu werden.
    Ich gehe seitlich neben dem Buggy her, so wie viele Väter Buggys schieben. Vielleicht um Leichtigkeit zu simulieren, Unausgelastetheit. Kind, viel Arbeit, anstrengend, und die Wäsche erst, o Mann. Und trotzdem: Ich schaff das ganz gut, mache das sogar einhändig, kann währenddessen noch die Beine nach vorn werfen, telefonieren, mich nach hübschen Mädels umschauen. Kein Problem. Total easy.
    Totaler Blödsinn.
    In Wahrheit treibt seitlich schiebende Tausendsassa-Väter weder Tatendrang noch Energie. Es ist Angst, die in uns wütet. Die Angst vor der falschen Rolle, in die wir rutschen könnten. Angst davor, verwechselt zu werden mit einem Vollvater, einem Zweihandschieber, einem, der nichts sonst hat im Leben und in der Birne als irgendeine falsch verstandene Vaterrolle: »Duziduzi, jetzt spielen wir dann gleich Balli mit dem Fußi, gell?« Einer, der die Dose tatsächlich links liegenlassen würde. Diese Dose muss jetzt einen ordentlichen Tritt kassieren, spüren, dass hier ein vielfach talentiertes Multitasking-Genie ein wenig vergeudet über britischen Rasen tippelt, ein Einhand-Vater, ein Kreuzeck-Ass mit mächtig Wumms: Ich also.
    Natürlich ist es armselig zu glauben, man könnte den Vollvater in sich abschütteln, indem man eben mal eine Hand vom Buggy nimmt, ein bisschen blöd daherredet und auf Dosen drischt. Aber Gott, es ist ein Anfang.
     
    Noch einmal Maß nehmend, im Kopf die Dose bereits scheppernd im Busch versenkt, schwinge ich mein Schussbein nach hinten aus. Führe es jetzt – Achtung, Kinder, gleich kracht’s – in Richtung Dose: Mit aller Kraft schnellt mein Unterschenkel nach vorne, ich ziehe mit dem Vollspann ab und – jaule einen Augenblick später aus vollem Hals auf.
    Die Dose war randvoll, original versiegelt, unangetastet und in etwa so schwer wie eine Kanonenkugel. Innerhalb weniger Sekunden schwillt mein Fuß auf die Ausmaße einer Bärentatze an: War das ein Kleinjungenstreich? Das angeklebte Zehn-Pfennig-Stück? Schlüpft gleich der britische Kurt Felix aus dem Busch? Paola? Frank Elstner? Ist mein Leben eine Comedy-Falle? Ist Schottland in Wahrheit nichts anderes als der Altensitz ausgemusterter Verstehen-Sie-Spaß-Moderatoren, die dort einfach weitermachen, als ob sie nie abgesetzt worden wären? Absolut vogelfrei. »You’ve been framed.«
     
    Bis heute bekomme ich zweimal im Jahr eine Werbe-E-Mail von Seaways, einer dänischen Fährreederei. Ich hätte mich schon längst aus dem Verteiler streichen können. Wenn ich heute nach Edinburgh will oder muss, dann fliege ich und fahre nicht wie damals über Amsterdam mit der Autofähre nach Newcastle. Aber erstens bin ich ein wenig misstrauisch, ob diese Links (»Wenn Sie diese E-Mail in Zukunft nicht mehr erhalten möchten, klicken Sie hier«) einen nicht automatisch in einen Gewinnspielverteiler eintragen (»Wenn dich schon unser Zeug nicht interessiert, dann verkaufen wir wenigstens noch deine Adressdaten«). Und zweitens – das ist noch viel wichtiger: Ich liebe diese E-Mails. Sie sind wie Postkarten, die in irgendeinem Briefverteilzentrum unter

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